Donnerstag, 26. März 2020

„Denn ich bekenne meine Schuld, bekümmert bin ich meiner Sünde wegen.“ (Psalm 38, 19)

Schluss mit Sünde! So heißt der Titel eines kleinen Büchleins. Der Autor ist selbst protestantischer Theologe. Sein Anliegen: Kritik des protestantischen „sündenverbiesterten Menschenbildes“.

Auf den ersten Blick ein verlockendes Ziel. Endlich mal ein Leben ohne diese ständige Schuldzuweisung. Und gerade jetzt kann ich so gar keine Schuld bei mir entdecken. Im Gegenteil. Ich war noch nie so gesetzestreu, so vorbildlich rücksichtsvoll mit den Bedürfnissen meiner Umgebung wie gerade jetzt. Habe mich noch nie so sehr zurückgenommen um meines Nächsten willen. Wo kann ich denn da bitte schön noch schuldig an irgendwem werden?

Also Schluss mit Sünde! Denn: „Menschen sind nicht notorische Sünder, sie sind gut, aber verführbar, müssen darin gecoacht werden, die eroberte Handlungsmacht, die erstrittene Autonomie nicht zu missbrauchen.“ Schlussendlich heißt das: Wir müssen nur die von Gott durch Jesus vermittelte Weisheit erlernen, dann ist alles gut.

Ist das so?

Saisonarbeiter dürfen nicht mehr als Erntehelfer nach Deutschland einreisen, um die Ausbreitung der Pandemie zu bremsen - wie aber können Ernte und Versorgung gerettet werden? Die Kinder besuchen die gefährdeten Eltern nicht mehr, um sie vor dem Virus zu schützen - aber wer soll der Mutter helfen, die den kranken Vater schon seit einem Jahr zu Hause pflegt? Aus Spanien berichten Krankenpfleger: Patienten über 75 Jahren kommen erst gar nicht auf die Intensivstation - Ärzte müssen die behandeln, die die größeren Überlebenschancen haben.

Keine Schuld im Sinne von Missetat - aber doch ein unlösbares Dilemma. Leben auf Kosten von Leben. Sünde eben. Und dagegen ist kein weisheitliches Kraut gewachsen. Bin ich in solchen Situationen nur auf mich alleine angewiesen, werde ich schnell gelähmt, weil ich die Entscheidung nicht treffen kann. Mich vor den Folgen fürchte und immer jemandem schade, egal was ich tue.

Schluss mit Sünde! - möchte ich dann ausrufen. Als Hilfeschrei, als Schrei nach Rettung aus meiner Not. Und Hilfe kommt - nicht mit Blaulicht und Sirene. Auch nicht mit den Trompeten der Kavallerie. Denn Gott ist in diese Welt gekommen, die wir gerade erleben. Nicht nur in die schöne, wunderbare und herrliche Schöpfung - sondern auch in die Welt voller Krankheiten, Katatstrophen und Ängste. Und er ist immer noch da. Und schenkt mir Vertrauen, dass ich nicht auf diese Sünde festgelegt bin.

Denn ich spüre ihn in dem Zusammenhalt, über alles social distancing hinweg. Erfahre ihn in jeder aus Sorge vermiedenen Begegnung. Sehe ihn stärkend in jeder Art von Hilfsbereitschaft und tröstend neben jedem Entscheidungsträger. Er ist, wenn alles andere wegbricht - und er bleibt, wenn uns unsere Weisheit verlässt.

In dieser Hinsicht ist tatsächlich Schluss mit Sünde! Denn wir sind eben nicht Erben der Sünde, sondern des Lebens. Dafür ist Jesus in die Welt gekommen - und dazu sind wir befreit. Zur Tat und Nachfolge. Ohne Angst. Und so ist wirklich Schluss mit Sünde. Amen.

 

Stephanie Wegner