Kantate - 10. Mai 2020

Liebe Gemeinde,

Kantate – das heißt: Singt!

Kantate ist der Sonntag, der der Musik gewidmet ist, dem Loben und Danken mit Pauken und Trompeten, mit Posaunen und den Klängen der vielstimmigen Chöre.

Kantate ist ein Tag der Freude.

Deswegen habe ich mich auch tatsächlich gefreut, als es vor zwei Wochen hieß: ab dem 4. Mai sind wieder Gottesdienste möglich. Denn ich wusste: das heißt: der erste Gottesdienst seit zwei Monaten wird an Kantate sein. Einem Freudentag.

Dann aber kamen die Auflagen – und die Freude ist mir schnell vergangen: Keine Bläser. Kein Chor. Maskenpflicht in der Kirche. Und reduzierter Gemeindegesang – was auch immer das sei.

„Im Kirchenraum werden keine Gesangbücher ausgelegt. Reduzierter Gemeindegesang mit Mund-Nase-Bedeckung ist möglich. Auf lange Gesänge ist zu verzichten. Lieder zu summen oder auch zu sprechen ist eine sinnvolle Möglichkeit.

Vokal- und Instrumentalchöre kommen nicht zum Einsatz. Der Einsatz von Blasinstrumenten in der Kirche ist nicht möglich.“

Soweit die evangelische Kirche - im Hygienekonzept für unsere Gottesdienste in den Kirchen.

Und mein österliches Lachen über die Freude des auferstandenen Gottesdienstes ist mir sozusagen im Hals stecken geblieben:

Dagegen aber die grundsätzliche Aussage der Kirche über den heutigen Sonntag:

„Gottesdienste und Gemeindeleben sind ohne Musik unvorstellbar.

Evangelische Frömmigkeit wäre nicht denkbar ohne sie. Um Musik und Gesang drehen sich die biblischen Lesungen am Sonntag Kantate: Der erleichterte Dank der Geretteten, das mächtige Loblied der Geschöpfe Gottes, das besänftigende Harfenspiel und der mutige Gesang, der Kerkermauern sprengt – sie alle vereinen sich zu einem vielstimmigen Lob Gottes. Dort, wo sein Name so besungen wird, dort ist Gott ganz nah. Kein Bereich des Lebens soll von diesem Lob ausgeschlossen sein, keiner ist zu gering für diese Musik. Je mehr unser Leben zum Gesang wird, desto stärker wird uns dieses Lied verändern zu liebevolleren und dankbaren Menschen.“

Gegensätzlicher könnten Aussagen wohl kaum sein.

Und zurück bleibt Unsicherheit -

Wir haben bis jetzt noch nicht gesungen. Keine Posaune erklingt, kein Chor lässt sein vielstimmiges Lob ertönen.

Singen verboten - oder zumindest unerwünscht.

Vom Staat und der Kirche.

Das Osterlachen ist vergangen.

Mir ist, als würden wir nun in unseren Gottesdiensten nicht mehr loben, sondern nur noch seufzen.

Nicht mehr danken, sondern vor allem resignieren.

Dabei ist es für uns doch eigentlich ein Tag des Jubels und der Freude - ein Tag der Rückkehr in die Kirche. Ein Tag des Willkommens, ein Tag des Neustarts.

Ganz ähnlich wie  vor 3000 Jahren für das Volk Israel - bei der Einweihung des neugebauten Tempels.

So wird es uns erzählt in 2 Chronik 5:

11 Und die Priester gingen heraus aus dem Heiligtum,

12 und alle Leviten, die Sänger waren, und ihre Söhne und Brüder, angetan mit feiner Leinwand, standen östlich vom Altar mit Zimbeln, Psaltern und Harfen und bei ihnen hundertzwanzig Priester, die mit Trompeten bliesen.

13 Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken dem Herrn. Und als sich die Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele erhob und man den Herrn lobte: »Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig«, da wurde das Haus erfüllt mit einer Wolke, als das Haus des Herrn,

14 sodass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Wolke; denn die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus Gottes.

 Wo Gott ist, da singen Menschen. Und heißen ihn willkommen.

Wo Menschen singen, da ist Gott. Spürbar und erfahrbar. Und füllt sie aus mit seiner Gegenwart.

Im Singen begegnen sich Gott und Mensch.

Das spüre ich immer, wenn ich singe – und besonders, wenn ich im Chor tue:

Unsere Chorproben sind Freitags, um halb acht abends. In manchen Wochen ist das gefühlt ganz schön spät. Die Woche war lang, anstrengend, der Terminkalender voll bis in den Freitag nachmittag hinein.

Abends um halb acht fehlt mir oft die richtige Lust, manchmal sogar die Kraft, jetzt auch noch zur Chorprobe zu gehen.

Aber ich gehe immer - naja- fast immer.

Ich komme - und bin müde, erschöpft und hoffe, dass es bald vorbei ist.

Wenn ich gehe - nehme ich die Lieder mit nach Hause. Ich trage Freude im Herzen und auf den Lippen. Und ich sehe an den Gesichtern meiner Chorgemeinschaft, dass es allen anderen auch so geht.

Denn Gott war mitten unter uns. Und die Freude, die wir spüren, ist Zeichen seiner Barmherzigkeit. Sie trägt uns durch den Abend und manchmal sogar durch die nächste Woche.

Doch heute heißt es für uns: Singen in der Kirche verboten - oder zumindest unerwünscht.

Ist das dann also noch ein Gottesdienst, was wir feiern?

Oder doch etwa nichts, was das Kommen lohnt - denn es ist eben kein richtiger Gottesdienst?

Sollten wir lieber warten, bis die Posaunen erklingen dürfen - und Singen wieder erlaubt ist?

Ohne Einschränkung?

Die Unsicherheit war groß.

Liebe Gemeinde,

im Kirchenvorstand haben wir letzte Woche lange überlegt, wie wir es halten mit unserem Gottesdienst - und mit dem Singen. Wir wollten nicht stehen bleiben in unserer Unsicherheit. Und wir wollten uns nicht den Umständen unterwerfen müssen - sondern einen Weg finden, mit ihnen leben zu können. Als Gemeinde.

Also  haben wir einen pragmatischen Weg gefunden, beides zu haben - und sind nach draußen gegangen. Singen erlaubt - solange das Wetter mitspielt.

Gemeinsam aber gehen wir auch einen theologischen Weg - und den laufen wir auch bei schlechtem Wetter. Denn unsere Gottesdienste sind keine einseitigen Dienste von uns für Gott. Keine Opfer, die wir ihm mit Stimmband und Zunge erbringen.

Unsere Gottesdienste sind vor allem Dienst Gottes an uns. In denen wir auf ihn hören, seine Nähe spüren. Nicht nur in unserem Singen - sondern eben auch im gemeinsamen Beten und Hören. Am Anfang ist er - und ist sein Wort.

Und wir antworten ihm - mit Herz und Mund.

Im Singen öffnet sich mein Herz - aber Gott findet seinen Weg zu mir auch ohne Noten.

Deswegen: egal, ob wir laut singen - oder im Herzen: Gott ist mitten unter uns.

Deswegen ist mein Osterlachen zurückgekehrt.

Und ich bete:

Nun mach´ aus uns Menschen,

 Ostern gewachsen und mündig,

 auferstehungsfähig und mutig.

Dein Engel hört durch Mauern, sieht ins Herz und spricht unsere Sprache.

Sende uns deinen Engel,

 der uns wegholt

 aus unserer Resignation,

 neue Lieder mit uns übt

 und mit uns aufbricht

 in die Weite des Lebens.

Amen.