1. Weihnachtsfeiertag - 25.12.2021

Bildpredigt: „Menschwerdung“ (Michael Triegel)

 

 

„Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr.“ - überschäumende Freude steht am Anfang.

Und dann, später in der Nacht: stille Nacht - heilige Nacht. Der holde Knabe im lockigen Haar, das Kind in Windeln in der Krippe liegend. Maria und Josef, die Eltern, betrachten es froh. Und oben steht jubelnd der Engelein Chor.

Fast wie im richtigen Leben.

Auch da ist das Kind der Mittelpunkt - neu geboren, ruhig schlafend. Daneben die Eltern, selig vor Glück, Augen und Herz ganz auf das neue Leben gerichtet.

Und oben, unten, außen und innen - die Verwandten, Großeltern, Onkel und Tanten, die das Glück bejubeln, das Jüngste als neuen Heilsbringer aller Welt verkünden.

 

Weihnachten schöpft aus dem Vollen unserer Lebenswelt - und rührt uns gerade deswegen so an.

Eine Verheißung wird Mensch - aus einer Möglichkeit wird Realität. Das gilt für Jesus - aber auch für uns alle. Im Bauch der Mutter lebt das Kind als Versprechen, als Idee, als Wort der Hoffnung. In der Geburt wird aus der Hoffnung Wirklichkeit - und das Kind wird aus dem Wort zu Fleisch.

Wie dieses Kind in der Krippe.

Ganz Mensch - und ganz Gott.

Mit erwachsenen Augen blickt es in die Welt - und uns mitten ins Herz.

In der Geburt geht es durch den  Tod ins Leben - neugeboren und schon wieder todgeweiht.

Unser Blick geht auf die Himmelsleiter - der Weg nach oben führt nur übers Kreuz - seines und unseres.

 

Nackt und bloß ist er, der Retter der Welt. Den Gefahren des Lebens ausgesetzt - wie wir alle vom Mutterleib an von Vergänglichkeit umgeben.

Alles Leben, alles Sterben hängt an ihm - wie an einem seidenen Faden. Und er selbst hängt an Leben und Sterben -  untrennbar verbunden mit Werden und Vergehen.

Ganz Gott ist er - und  Mensch mit Haut und Haar.

 

Lied               EG 49, 1.2 (Der Heiland ist geboren)

 

 

Der erste Schritt ins Leben wird gemacht - vorsichtig, noch unbeholfen - um die Katze nicht zu wecken. Das Böse schlummert in seiner Nähe - aber es verschwindet nicht aus der Welt. Das Kind ist dem Bösen einen Schritt voraus - aber kein Mensch kann die Sprossen der Lebensleiter entlanglaufen, ohne ihm zu begegnen.

 

Die Quelle des neuen Lebens ist die Liebe, die aus vollem Herzen strömt. Die Liebe der Eltern wird mit vollen Händen weitergegeben und stärkt die Kinder als Frucht unserer Herzen.

Die Liebe Gottes zu uns Menschen wird lebendig in diesem Kind und treibt seine Schritte im Leben voran. Der erste Schritt ist die Verlängerung seiner Herzenslinie - ohne seine Liebe stünde das Leben still.

Die andere Hand ist zum Segen erhoben - die Liebe Gottes wird mit vollen Händen weitergegeben.

 

Die Liebe von Gott und Mensch ist sichtbar überall im Bild - und doch übermalt sie nichts, übertüncht sie nichts.

 

Tod und Leid drohen überall, durchdringen das Bild, sind allgegenwärtig - doch die Liebe kämpft sich hindurch. Sie leuchtet im Blau von Marias Mantel mütterlicher Liebe. Sie durchdringt uns in Josefs klarem Blick für die Gefahren des Lebens.

Sie erfasst uns mit der Herzensgeste, die Mutter und Kind miteinander verbindet.

Und sie strahlt uns an in dem Licht, das von der Unschuld des Kindes ausgeht.

Diese Liebe ist eine, die um Schatten und Dunkelheit weiß - und die trotzdem die Kraft hat, unser Leben zu bestimmen.

Zu bewirken, dass sich die Menschen vor ihr beugen. Sich zurücknehmen in ihrer Macht, damit wir uns dem Schwachen zuneigen können.

 

Weil unser Heil sich ganz unserer Macht und unserer Schwachheit ausliefert - wie in dem Gedicht von Huub Oosterhuis:

 

 

 

Aus dem Himmel ohne Grenzen

Trittst du tastend an das Licht,

du hast Namen und Gesicht,

wehrlos bist du wie wir Menschen.

 

Als ein Kind bist du gekommen,

wie ein Schatten, der betört,

unnachspürbar wie das Rauschen,

das man in den Bäumen hört.

 

Bist erschienen wie ein Feuer,

wie ein Leitstern in der Not,

deine Spur weist in die Fremde,

bist verschwunden in den Tod.

 

Bist begraben wie ein Brunnen,

wie ein Mensch im Wüstensand.

Wird uns je ein andrer werden,

je noch Friede hier auf Erden?

 

Bist uns als ein Wort gegeben,

Furcht und Hoffnung in der Nacht,

Schmerz, der uns genesen macht,

Anbeginn und neues Leben.

 

Denn am Ende sorgt die Liebe dafür, dass das Leben siegt. Schritt für Schritt gehen wir ihm entgegen - manchmal zaghaft, wie neugeboren - manchmal mit überschießender Kraft. Und immer unter dem Segen des Menschgewordenen.

Amen.