Jubilate - 25. April

Predigt zu Apg 17, 22-34

Freitag früh beim Frühstück. Ich lese Nachrichten auf meiner App - und stoße auf einen Artikel von Zeit Online, der ausnahmsweise mal nicht verschlüsselt ist.

Und ich lese von einer seit Donnerstag nacht im Netz stehenden Initiative verschiedener Schauspieler, die mit Videos gegen den Lockdown protestieren. Mehr als 50 sind es ingesamt, prominente Namen dabei wie Jan Josef Liefers, Ulrich Tukur und andere.

Meine Neugier ist geweckt, ich suche die Seite, schaue mir Videos an. Die Schauspieler legen ihre Finger in die Wunden unserer Coronapolitik. Sie reden an gegen Perspektivlosigkeit, gegen sinnlosen Aktionismus, aber auch gegen all die vielen „ich weiß es besser“ - Mentalitäten der selbsternannten Coronaexperten im Netz.

Es ist Kunst, Satire, um genau zu sein. Sie ist ironisch, schonungslos, nimmt keine Rücksicht auf ungeschriebene Denkverbote - Und sie tut weh - trifft offenbar einen Nerv in der Gesellschaft, denn die Reaktionen sind vernichtend. Und es gibt Beifall von der AfD - das ist immer schlecht, denn es ist Beifall von der falschen Seite.

Hätten sie also besser geschwiegen?

 

Szenenwechsel - eine Rückblende:

Es ist Januar, der 20., um genau zu sein. Tag der Amtseinführung von Joe Biden. Eine junge schwarze Amerikanerin tritt auf. Amanda Gorman. Sie liest eines ihrer Gedicht: The Hill we climb - den Hügel hinauf.

Ihr Auftritt ist ein Zeichen - für Amerika, für die Welt. Gegen den Rassismus, der das Land in den letzten Jahren von innen zerfrisst. Gegen männlichen weißen Chauvinismus - für eine freie, offene und emanzipierte Gesellschaft.

Doch mit der Freiheit ist es schnell zu Ende, als ihr Werk in Europa übersetzt werden soll. Der Verlag beauftragt eine weiße holländische Übersetzerin, die Dichterin ist einverstanden.

Dann aber geht der Shitstorm los - schwarz müsse die Übersetzerin sein, alles andere sei Ausdruck eben jenes weißen rassistischen Denkens, das die Autorin anprangert.

Dass sie selbst mit der Übersetzerin einverstanden war, spielt keine Rolle. Sie hat die Deutungshoheit über ihr eigenes Werk verloren.

 

Ich glaube, beiden Geschichten liegt die gleiche Frage zugrunde: Wer entscheidet, was wann wozu von wem gesagt werden darf? Wer hat die Deutungshoheit über mehrdeutige Sachverhalte?

Wer bestimmt über meine Identität?

 

In der Gesellschaft gibt es eine neue Identitätsbewegung, die sich anmaßt, als einzige genau darüber befinden zu dürfen. Sie lässt eine Berliner Politikerin sich für ihren Kindheitstraum entschuldigen, Indianerhäuptling sein zu wollen. Sie streicht den „Negerkönig“ aus Pippi Langstrumpf und erhebt das Gendern zur heiligen Kuh unserer Zeit.

Und leider macht diese Art der ideologischen Engführung auch vor den Kirchen nicht halt, und auch nicht vor dem Glauben.

Wer Gottesdienste trotz Corona offenhält, ist unsolidarisch gegenüber den vollen Kliniken.

Wer Homosexuelle segnen will, stellt sich gegen die Schöpfungsordnung Gottes.

Wer Frauen zu Priestern weiht, verkennt das biblisch-göttliche Wort.

Wer wie von Gott reden darf, bestimmt eine kleine Minderheit, die sich im alleinigen Besitz der Wahrheit glaubt.

 

All das sind Erscheinungen einer neuen ideologischen Engführung - aber die ist in jeder Hinsicht unbiblisch und unchristlich.

So verstehe ich zumindest den heutigen Predigttext.

 

Der Marktplatz von Athen ist gut gefüllt - mit Tempeln und Göttern jeglicher Facon. Persisch, babylonisch, ägyptisch, griechisch - jeder findet alles. Der Synkretismus ist zur Kunstform erhoben. Doch am Rande ein kleiner Altar  - unscheinbar, unauffällig. Dem unbekannten Gott geweiht.

Wer dieser Gott, ist unklar. Klar ist nur, es gibt ihn. Und er soll sich nicht beleidigt fühlen, weil er in dem Athener Pantheon vergessen wurde. Also bekommt auch er einen Altar - und jeder darf vor ihm beten. Der eine unbekannte Gott steht stellvertretende für alle unbekannten Götter. Jeder darf die Leerstelle füllen. Und nach seinem Glauben deuten.

Auch Paulus.

 

Paulus füllt die Leerstelle. Er erzählt vom unbekannten Gott. Von seinem Leben, seiner Macht, seiner Ohnmacht und seinem Sieg über den Tod. Und er hat Erfolg. Er bekehrt einige von denen, die ihn hören. Findet die, die auf der Suche sind nach dem Unbekannten, die, die ihre eigenen Leerstellen im Leben füllen möchten.

 

Auf den ersten Blick liest sich das wie eine Gegengeschichte. Die Leerstelle ist gefüllt - die Deutung ist klar. Der unbekannte Gott ist der, der in Jesus Christus lebt, stirbt und aufersteht. Alternativen gibt es nicht. Er ist der einzige.

 

Aber Paulus bleibt nicht am Altar des unbekannten Gottes. Er geht weg aus ihrer Mitte. Er verlässt den Ort seiner Deutung - und lässt die Leerstelle auch weiterhin zu.

Er definiert seinen Gott - als Herr des Himmels und der Erde, der sich nicht dienen lässt, sondern selber dient.

Er legt ihn fest als Richter, der Buße fordert, als den, der den Tod besiegt.

 

Aber zugleich bringt er ihn nahe als den, der nicht ferne von einem jeden unter uns lebt. In dem wir leben, weben und sind. Gott lebt in uns - in aller unserer Unterschiedlichkeit. In unserer verschiedenen Art, zu glauben. Unserer eigenen Worten, zu beten. Unseren unterschiedlichen Fragen, Lebenswegen, Antworten.

Paulus versucht gerade nicht, Gott als starre Statue in Stein zu meißeln oder als ewig-unabänderliches Bild zu versilbern.

Sondern er zeigt ihn als den, von dem die Bibel erzählt. Als den Schöpfer, der sich selbst zurücknimmt in seiner Macht, damit die Schöpfung werden kann.

Als den Richter, der sich selbst seinem Urteil unterstellt, damit wir seinem Urteil vertrauen können.

Und als den Lebensspender, der jedem Leben immer wieder neue Möglichkeiten schenkt.

 

Die Bibel ist voll von Geschichten, die von der Veränderung Gottes erzählen - die er immer wieder in der Begegnung mit uns Menschen erfährt. Und Paulus selbst erzählt von seiner letzten Veränderung - erzählt von dem Gott, der eingeht in die Welt, sich von ihr bis zur Unkenntlichkeit verändern lässt - und die Welt auf diese Weise verwandelt.

 

Paulus erzählt von Gott, der sich von uns nicht festlegen lässt auf eine Rolle, eine Funktion. Der sich nicht einsperren lässt auf unser menschengemachtes Bild von ihm. Sondern der uns das Leben neu schenkt, damit wir vielfältig und lebendig bleiben - mit ihm gemeinsam.

 

Und sich seine Vielfalt in unserer Welt widerspiegelt.

 

Paulus erzählt von dem Gott, der uns frei macht im Glauben und im Reden, im Denken und im Handeln. Gegen jede Ideologie, gegen jede Engführung.

Und uns stark genug macht, die Leerstellen im Leben auch mal offen zu lassen. Nicht für uns zu vereinnahmen.

 

Hätte Paulus geschwiegen, aus Angst, den Beifall von den falschen Menschen zu bekommen, dann wäre Gott noch immer unbekannt.

Würden Satire und Kunst verstummen, aus Angst, missverstanden zu werden - dann stünden wir vor leeren Bilderrahmen und schwarzen Bildschirmen.

Würden wir Christen schweigen, aus Angst vor Leerstellen in unserem Glauben - dann blieben unsere Kirchen leer.

 

Also füllen wir sie - erzählen von unserer Freiheit als Christenmenschen.

Von unseren Auferstehungsmomenten, in denen das Leben die dunklen Zeiten besiegt.

Von unserem Gott - der niemandem von uns ferne ist. Und in dem wir leben, weben und sind.

 

Amen.