Pfingstsonntag - 23. Mai 2021

1 Mose 11, 1-9

Der Turmbau zu Babel - wir kennen die Geschichte vermutlich alle.

Oder doch nicht?

Tragen wir doch mal zusammen, was jeder von uns so dazu weiß.

Gemeinde nennt Einzelheiten

Jetzt: Text lesen

So also lautet die Geschichte wirklich.

Auf den ersten Blick ist die Deutung eigentlich ganz einfach, oder?

Zivilisationskritik. Alles eine Folge des Sündenfalls.

Der Mensch ist aus dem Paradies geflogen, hat sich losgesagt von Gott, ist erkennntniswütig, machtbessessen - der Mensch möchte sein wie Gott.

Und zerstört sich selbst an seiner Hybris.

Eine Geschichte, die nie endet - und die jede Zeit mit ihren eigenen Türmen fortschreiben könnte. Auch, wenn die Welt schon nicht mehr mit einerlei Zunge spricht: das vereint alle Sprachen miteinander:

Höher, weiter, schneller - mit Auto oder Flugzeug - grenzenloses Leben überall.

Und so zerstören wir die Umwelt.

Mehr Wirtschaft, mehr Handel, mehr Geld - Bausteine für ein Wachstum um jeden Preis. Und so vernichten wir Existenzen, die nicht über genügend Baumaterial verfügen.

Der Mensch erliegt seiner Hybris - und die Strafe folgt auf dem Fuß.

Und die Predigt könnte unmerklich übergehen und aufgehen in einer Wahlkampfrede von Umweltpolitikern.

Beiden gemeinsam: der Mensch als Störfaktor und Zerstörer der Schöpfung.

Dann gibt es noch die andere Deutung: auch gerne verkündet:

Die vom neidischen Gott. Der seinen Geschöpfen nichts gönnt. Der - ganz klein und menschlich händelbar - Angst hat vor unserem Können, unseren Fähigkeiten.

An dessen Ego wir mit unseren Türmen kratzen, weil er Angst hat, wir holen ihn heraus aus seinem Himmel weltferner Göttlichkeit.

Ein Gott mit nur allzu menschlichen Zügen, voller Angst und Neid - und doch einer, der jede Begegnung mit den Menschen scheut.

Der Turmbau also als verräterische Erkenntnis erneuter Gottesferne. Wir werden zum zweiten Mal aus dem Paradies vermeintlicher Erkenntnis geworfen - denn Gott liegt gar nichts an unserer Nähe.

Beide Lesarten finde ich nicht so wirklich befriedigend.

Also nehme ich mir den Text nochmal vor:

Uns sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns bauen.

Am Anfang steht die Gemeinschaft. Das Miteinander für ein gemeinsames Ziel.

Nicht durch Heer oder Kraft, nicht durch Macht oder Befehl - sondern miteinander wird gearbeitet, in einem gemeinsamen Geist. Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde - und sein schöpferischer Geist schwebt jetzt über den Menschen.

Himmelhochjauchzend wird das Projekt gestartet - doch der gemeinsame Geist trägt nicht weit. Denn nicht Hoffnung ist der Träger - sondern die Angst.

„Wir müssen uns einen Namen machen - sonst werden wir zerstreut über die ganze Erde.“

Die Gemeinschaft ist brüchig, schon im Entstehen. Die Angst, einander zu verlieren, bestimmt das Handeln - und führt genau zum gefürchteten Ergebnis.

Aus Angst möchten wir Gott nahe kommen - ihm sozusagen Auge in Auge gegenüberstehen. Aus Angst, uns selbst zu verlieren - aus Angst um unser Leben - aus Angst vor der gefühlten Bedeutungslosigkeit angesichts der Unendlichkeit der Welt.

Doch Angst ist nie ein guter Ratgeber - ihre Illusion nimmt unserem Handeln den Sinn sofort mit dem nächsten Satz:

Da fuhr der Herr hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm.

Der Turm, dessen Spitze bis in den Himmel reicht, ist so meilenweit von Gott entfernt, dass er ihn nicht einmal sehen kann. Selbstüberschätzung, verzerrte Selbstwahrnehmung.

Unsere Türme  - unsere Projekte und Pläne, unsere Zerstörungen und Rettungsaktionen - all das geht in die Irre.

Am Ziel vorbei.

Denn der Geist der Angst ist ein untaugliches Mittel für jedes Ziel.

Das Projekt scheitert. Muss scheitern. Nicht als Strafe. Nicht mit einer Zerstörung. Kein donnerndes Zerschmettern  aus himmlischer Höhe.

Sondern schlichte Unvollendung.

Weil uns die Angst die Sprache verwirrt. Die Worte raubt. Die Sätze mit Ermutigung und Hoffnung im Hals stecken bleiben.

Und die Erkenntnis der eigenen Unvollkommenheit alles Tun im Keim erstickt. Uns auseinanderbringt und in der Welt als hilflose Waisen zurücklässt.

Bis zu dem Moment, an dem wir zulassen, dass uns der richtige Geist erfüllt.

Dieser Geist lässt uns die Wahrheit erkennen:

Er bricht sich durch unsere Ängste hindurch Bahn. Überwältigt uns.

Wandelt unsere Sprachlosigkeit in ansteckende Begeisterung - und macht unsere Zerstreuung fruchtbar für neue Begegnung.

Er lässt uns erzählen von dem, was uns bewegt - und andere damit in Bewegung setzen.

Er führt uns hinaus aus unserer vertrauten Bequemlichkeit, um neue Wege zu erschließen, neue Weite zu erfahren.

Er hilft uns, die Trümmer unseres Versagens hinter uns zu lassen, und unser Leben als die zu leben, die wir sind.

So klein, dass sich Gott zu uns herablassen muss.

So groß, dass er nichts lieber tut, als uns entgegen zu kommen. Mit Liebe - zum Trost - und in Wahrheit.

Denn er lebt - und wir sollen auch leben.

Amen.