21. Sonntag nach Trinitatis - 24.10.2021

Predigt zu Mt 10, 34-39

Wenn Sie wissen wollen, wie ein Hund aussieht, wenn er glückselig ist, dann müssen Sie unseren Hund anschauen, wenn er ein Geschenk auspackt.

Unser Hund liebt es, Geschenke auszupacken. Am besten ganz viele kleine Einzelpäckchen mit Leckerli in Papier eingewickelt, das ganze in einen Karton mit noch mehr Papier gesteckt, den Karton verschlossen und noch ordentlich verschnürt. Dauer: ungefähr eine Viertelstunde.

In der Theorie ist er dann nämlich gefühlt stundenlang damit beschäftigt, das Band abzustreifen, sämtliche Schutzhüllen herunter zu schieben, vorsichtig den Karton an den dafür bestimmten Stellen zu öffnen, aufmerksam zwischen all dem leeren Knüllpapier zu suchen, die Leckerlibällchen herauszuschnüffeln und jedes einzelne langsam und sorgfältig freizulegen, um es dann endlich essen zu können.

Haben Sie sich jetzt noch die Reihenfolge gemerkt und aufmerksam zugehört?

Nein?

Dann sind Sie in guter Gesellschaft - denn unser Hund auch nicht.

Der denkt gar nicht daran, all diese mühsamen Schritte in dieser Reihenfolge zu gehen. Alles, was er will, ist Leckerli fressen. Also reißt er den Karton dort auf, wo kein Schnürband ist, lässt das Band links liegen, rupft an sämtlichen Papieren ein bisschen herum und frisst den Rest gleich mit der Verpackung, dann geht’s nämlich schneller. Wenn er damit fertig ist, kaut er auf den Karton- und Schnurresten herum, um sich nach ca. 2 Minuten Zerstörungswut mit fragendem Blick hinzusetzen, wo denn jetzt eigentlich das echte Spielpaket bliebe.

Geduld ist bei ihm keine besonders ausgeprägte Eigenschaft.

Bei mir übrigens auch nicht. Ich habe viel Sympathie für unseren Hund - weil ich meine Geschenk am liebsten auch so auspacken würde. Und auch sonst am liebsten immer alles schnell schnell gehen muss.

Manchmal aber geht’s nicht ohne Geduld.

Auch nicht bei dem heutigen Predigttext. Denn der ist ein so gut verpacktes Geschenk, dass wir - wenn wir nicht aufpassen - nur das braune Packpapier sehen, und das Leckerli im Inneren gar nicht erst entdecken.

Text lesen

Beim ersten Lesen denke ich, es wäre vielleicht besser, mit dem Auspacken gar nicht erst anzufangen. Denn dieses Paket ist sprengstoffhaltig. Es ist gefüllt mit Worten von Streit, Entwzeiung und Trennung. Mit lauter Schwertworten.

Die will ich aber gar nicht hören.

Nicht von Jesus.

Ich höre sie schon genug im Alltag, solche Worte. In der Gesellschaft: Druckworte auf Ungeimpfte. Ich-Worte gegen das Bedürfnis von anderen. Hassworte gegen die Nächstenliebe des Kirchenasyls. Zu-teuer-Worte gegen den Erhalt von sozialen Einrichtungen. Stell-dich-nicht-so-an-Worte gegen die Lebensängste anderer.

Und jetzt auch noch hier. Von ihm.

Von dem, der an anderer Stelle sagt: Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.

Nicht Frieden, sondern das Schwert. Nicht Einigung, sondern Streit. Nicht Zusammenhalt, sondern Trennung.

Am liebsten würde ich sie wieder einpacken, diese Worte, gut verschnüren und return to sender - zurück an den Absender damit.

Geht aber nicht. Einmal ausgesprochen, stehen sie im Raum, klingen nach, hallen wider - und fordern heraus.

Also packen wir weiter aus.

Dass das Bekenntnis zu Jesus soviel Sprengkraft entwickelt, dass sich darüber ganze Familien zerstreiten, können wir uns glaube ich im Moment nicht vorstellen. Zumindest nicht hier, nicht bei uns. Kann doch jeder nach seiner Facon selig werden. Und auch wenn der Enkel und die eigenen Kinder ruhig öfter in die Kirche gehen könnten - wer würde sich darüber schon noch zerstreiten wollen?

Über andere Sachen aber zerstreiten wir uns gerade bis aufs Blut - gesellschaftlich gesehen. Die Frage: „Wie hältst du’s mit der Impfung?“ wird zur alles entscheidenden Gretchenfrage. Abweichungen werden nicht geduldet, Andersdenkende pauschal abgeurteilt, Künstler, Satiriker, Kabarettisten, die ihren Job machen, uns zum Nachfragen anregen, zum Hinterfragen - die eine offenen sachliche und vorurteilsfreie Diskussion anstreben, werden gehatet, persönlich angegriffen. Die Kommentare zu den Artikeln und auf den sozialen Foren sprechen dabei für sich.

Streit um des Friedens willen - um der einen einträchtigen Meinung willen, die uns das friedliche Zusammenleben erhalten soll. So ist es gedacht. Und daraus wird Zwang zur Einheitlichkeit. Ein Streitverbot sozusagen. Diskussionen nicht erwünscht. Denn die könnten Zweifel an der eigenen Haltung erzeugen - und Zweifel stören den Frieden.

Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert - das klingt jetzt schon ein bisschen anders. Die Perspektive hat sich gewandelt.

Denn die Welt ist voll von Schwertern - von Worten, die - einmal geworfen, mitten ins Herz treffen. Von Streitigkeiten, die - einmal losgetreten - Menschen auseinanderbringen.

Es gibt sie, die Fälle, in denen unser Handeln als Christen gefragt ist, in denen wir für andere einstehen müssen, für ihre Rechte und ihre Würde unsere Stimme erheben müssen - und deswegen in Konflikt mit unserer Umgebung geraten. In denen wir als Gemeinde uns entscheiden müssen, ob wir Menschen wegen ihres Impfstatus vom Gottesdienst ausschließen oder offen bleiben für alle.

In denen wir Mitläufer uns entscheiden müssen, ob wir schweigen, wenn das Berufsopfer auf dem Schulhof mal wieder gemobbt wird - oder ob wir laut werden und etwas dagegen tun.

Jeder von uns steht irgendwann vor solchen Entscheidungen.

Und es ist keine Lösung, um jeden Preis den vermeintlichen Frieden zu wahren.

Und jetzt habe ich das Päckchen schon ein bisschen weiter aufgeschnürt - und sehe etwas goldenes, vielleicht wertvolles hindurchblitzen.

Denn an Jesus glauben, heißt nicht: Friede, Freude, Eierkuchen. Das ist nicht die Art von Frieden, die er bringt - die ein Leben in seiner Nachfolge uns bringt.

Das wäre ein Friede, wie ihn nur ein Leben ohne Zweifel bewirkt. Ohne Zweifel an mir, an dem, was ich tue, an dem, was ich sage und denke.

So ein Friede wäre wertlos - denn er bestünde nur an der Oberfläche.

Er wäre vorüber, sobald ein anderer sein Schwert wirft und damit Zweifel streut.

Jesus aber bringt eine andere Art von Frieden. Einen, der uns bleibt, auch wenn Zweifel unseren Glauben an uns, an Gott durchkreuzen. Auch, wenn einer mit dem Schwert auf uns losgeht. Auch wenn die Familie gerade mal heillos zerstritten ist.

Denn sein Friede fürchtet keine Nachfragen und keine Diskussionen. Im Gegenteil. Er kommt gerade, wenn ich mich frage: was ist eigentlich wichtig für mein Leben ist? Welche Bedeutung hat es für meinen Alltag, dass ich Sonntags in der Kirche bin?

Der Friede, den Jesus mir lässt - der fordert mich heraus. Zur Parteinahme. Zum Bekenntnis. Zur Nächstenliebe. Und zum Streiten.

Um des echten Friedens willen.

Amen.