Miserikordias Domini - 18. April

Predigt zu Hes 34

 

Text lesen (Ve 1-6)

 

Jesus spricht: ich bin der gute Hirte.

Eigentlich doch auch ein ganz schönes Bild, oder?

Idyillisch, passend zur Jahreszeit.

Ich sehe sie richtig vor mir - die Schafe auf der Weide. Die niedlichen Lämmchen, die selig und von den Wolfsgefahren der Welt nichts ahnend, zwischen ihren Müttern herumspringen.

Und am Rande: der Hirte. Groß, stark - vielleicht sogar mit einem Stab in der Hand. Gewappnet gegen alle Unbill. Gerüstet für jedes Wetter.

Wach und aufmerksam - vertrauenerweckend.

Einer, auf den sich die Herde verlassen kann.

Neben ihm ist gut grasen.

 

Ach, du liebes Schaf - möchte man da sagen - das sind doch alles Hirngespinste.

In Wirklichkeit ist die Welt doch ganz anders. In Wirklichkeit ist es doch so:

 

Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? 3 Aber ihr esst das Fett und kleidet euch mit der Wolle und schlachtet das Gemästete, aber die Schafe wollt ihr nicht weiden. 4 Das Schwache stärkt ihr nicht, und das Kranke heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück, und das Verlorene sucht ihr nicht; das Starke aber tretet ihr nieder mit Gewalt. 5 Und meine Schafe sind zerstreut, weil sie keinen Hirten haben, und sind allen wilden Tieren zum Fraß geworden und zerstreut. 6 Sie irren umher auf allen Bergen und auf allen hohen Hügeln und sind über das ganze Land zerstreut, und niemand ist da, der nach ihnen fragt oder sie sucht.

 

Liebe Schafe!

Ist das nicht toll? Hirtenbashing vom Feinsten - und ganz ohne schlechtes Gewissen, denn es ist ja biblisches Wort. Da darf man doch getrost mitmachen und draufhauen - Hirten gibt es ja genug.

Da sind die Hirten, die das Schwache nicht nur nicht verbinden, sondern durch Missbrauch ihres Hirtenstabs das Anvertraute erst schwächen. Die sich nicht schützend vor den Wolf stellen, sondern sich selbst an seine Stelle setzen.

 

Dann gibt es die Hirten, die sich so sehr vor ihrer Verantwortung fürchten, dass sie einfach sitzenbleiben, wenn Gefahr droht. Aus Angst, einen Fehler zu machen, verfallen sie in Schreckstarre und werfen ihre Herde so den Wölfen zum Fraß vor. Oder bauen Gatter und Zaun so hoch und eng, dass keine Gefahr mehr durchdringt - aber die eigenen Schafe keinen Raum mehr zum Leben finden.

 

Andere Hirten wieder mästen sich am Leben ihrer Schafe. Sehen ihre Herde als Mittel für eigenen Zwecke - und die Schafe als Ware, gehandelt zur Befriedigung eigener Machtgelüste. Um ihre eigene Macht zu stärken, erfinden sie eine Verschwörung von innen, stiften Verwirrung und Zwietracht in der Herde - und die echten Wölfe können ungehindert über die Schafe herfallen.

 

Wieder andere weiden sich selbst. Sie bedrohen fremde Schafe durch eigene Wölfe und riskieren so neue Kriege - weil es der einfachste Weg ist, die eigene Herde hinter sich zu versammeln, Loyalität und Gefolgschaft zu erzwingen.

 

Es ist wirklich einfach, Hirtenbashing zu betreiben.

Die Welt und ihre Akteure in Gut und Böse, in Schwarz und Weiß zu unterteilen. Die da oben - wir hier unten. Die sagen an - wir müssen folgen. Die ansagen, haben keine Ahnung vom Leben - die folgen, sind störrisch und bockig und uneinsichtig.

Gerade im Moment - unter coronalen Bedingungen - wird das mehr und mehr zur einzigen Kommunikationsform - in alle Richtungen, auf allen Ebenen.

Die Hirten, das sind immer die anderen.

 

Auch wenn das so sein sollt, liebe Schafe, hier die schlechte Nachricht: Auch wir haben eine Verantwortung. Wir können uns nicht damit herausreden, dass wir halt doch nur Schafsköpfe seien und all den schlechten Hirten nichts entgegensetzen könnten.

Es wäre so einfach, sich selbst in die Opferrolle zu setzen. Sich auf den unheiligen Dreiklang einzustimmen: verwundet, verirrt, verloren. Und die Stärke der bösen Hirten mit der Schwäche der eigenen Gutheit noch zu vergrößern.

Aber es geht nicht darum, als Einheitsherde im Kollektivsumpf des gemeinsamen Blökens stecken zu bleiben und in schafsköpfiger Monotonie die Leier vom bösen Hirten zu singen. Sondern darum, Raum zu schaffen, in dem wir unsere finsteren Täler auf den Spuren unseres einen guten Hirten durchqueren können.

 

Hier die Gefährder, da die Opfer? - Das Muster funktioniert nicht. Nicht so. Nicht mehr.

Nicht nach Ostern.

Denn Ostern ist der Sieg des Opfers über die Täter.

Die Auferstehung heilt das Verwundete, schenkt verloren geglaubtes Leben erneut und bringt verirrte Zweifler zurück auf den auf Weg.

 

So sind auch wir in der Verantwortung, einander zu hüten. Nicht vorwurfsvoll im Kain’schen Sinn - sondern als Schaf unter Hirten - und als Hirte unter Schafen.

Einander auf grünen Auen lagern zu lassen und zum frischen Wasser führen - mit Zeit, Geduld und offenen Ohren einander suchen, wieder finden und zurück holen.

Einander das Verlangen stillen - nach einem wohltuenden Wort, einen aufmunternden Blick, einer helfenden Hand - und so die Wunden verbinden, die wir uns gegenseitig geschlagen haben.

Einander auf rechter Straße zu leiten - Wege zu zeigen, auf denen wir gemeinsam gehen und miteinander leben können.

Einander begleiten in den dunklen Tälern - uns in Krankheit, Einsamkeit, Zorn nicht alleine lassen.

Und so dafür zu sorgen, dass am Ende alle gemeinsam am gedeckten Tisch stehen können - einander vor Augen, im Angesicht des einen guten Hirten.

 

Damit niemand von uns mehr verloren geht.

 

Amen.