Letzter Sonntag nach Epiphanias - 31. Januar 2021

2 Petrus 1, 16-21

Die Jünger auf dem Berg. Herrliche Zeit. Ein Moment göttlicher Offenbarung - unerwartet, erhellt den Alltag, stellt das eigene Erleben mitten in das Wirken Gottes.

Ein Moment der völligen Übereinstimmung - mit sich. Mit Gott, dem Leben, dem Universum. Ein kurzer Moment der Einheit - des Ganzseins.

Vollkommener Moment der sicheren Gewissheit: Gott ist da - hier in diesem Menschen. Bei uns.

Petrus möchte ihn festhalten, diesen Moment - möchte Hütten bauen. Will sich niederlassen in dieser Erfahrung, dem Eins-Sein mit Gott - und diesen Zustand nie wieder verlassen.

Doch es kommt anders: die Hütten werden nicht gebaut, der Berg wird verlassen, die Erfahrung verschwiegen.

Der Moment ist einmalig - und nicht wiederholbar - nicht wieder  zurückholbar. Nicht wieder herbeizureden.

Und die Jünger sind Augenzeugen. Sie sehen die Herrlichkeit Gottes. Sie sehen, erleben, wie die Begegnung mit Gott den Menschen verwandelt, ihn verklärt, erleuchtet.

Das Himmlische bricht unvermittelt und überraschend in die Gegenwart ein - und seine Herrlichkeit lässt uns sprachlos zurück.

Aber die Sprachlosigkeit ist nicht weiter schlimm.

Denn als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.

Redeverbot - zumindest zu Lebzeiten Jesu.

Vielleicht kommt es den Jüngern auch ganz recht - wie sollten sie diese Erfahrung auch in Worte fassen gegenüber Menschen, die nicht dabei waren? Welche Worte finden wir angesichts unserer Wirklichkeit für das Unwirkliche, angesichts des Hungers der Welt für die göttliche Fülle? Lassen uns Not und Einsamkeit, Krankheit und Tod nicht verstummen?

Die Jünger können dem Problem erst mal ausweichen - sie dürfen ja nicht reden.

Wir aber laborieren an dem Dilemma der späten Geburt - die Auferstehung des Menschensohns hat die Macht des Todes gebrochen und doch sind wir Tag für Tag mit ihm konfrontiert in allen seinen Schattierungen - und erleben immer wieder, dass er uns den Blick auf die Herrlichkeit des Herrn verstellt.

Gehen uns da angesichts unserer Welt nicht die Worte für das Herrliche im Leben aus?

Ich möchte Ihnen als Beispiel gerne ein Kindergeschichte erzählen - vielleicht kennen Sie sie ja. Es ist die Geschichte von Frederick, der Maus.

Frederick lebt mit seiner Familie und einer ganzen Mäusekolonie auf einem alten Bauernhof. Im Sommer machen sie es wie wir - sie genießen das Leben. Spielen, träumen, fressen und schlafen. Leben im Überfluss - Sonnenschein, Wärme - und die ganze Herrlichkeit des Lebens ist fast mit den Händen bzw. den Pfoten zu greifen. Fast schon ein Rauschzustand endlosen Glücks.

Dann aber kommt der Spätsommer, der Herbst. Die Welt ist buntprächtig. Alles strahlt und leuchtet in den letzten Strahlen des ausgehenden Sommerlichts - die ganze Herrlichkeit und Pracht und der Schöpfung bekennt ein letztes Mal Farbe.

Die Mäuse tummeln sich in der Futterkammer und dem Vorratskeller, aus der Speisekammer hört man es rascheln und raunen, auf den Feldner herrscht wildes Gewusel -  der Winter naht und die Vorräte werden aufgefüllt. Alle helfen zusammen - und die Arbeit wird leichter durch die Bilder von herrlichen Festmählern an kalten Abenden. Alle helfen - bis auf Frederick. Er sitzt nur und guckt - und träumt und sinnt. Er sammelt Farben für den Winter. Er sammelt Worte für die einsamen Tage.

Dann ist der Winter da. In der ersten Zeit ist das Essen reichlich, die Geschichten des Sommers sprudeln über. Doch nach und nach werden die Tage grau, das Leben brennt auf Sparflamme. Die Worte versiegen - was soll auch noch erzählt werden? Die Vorräte gehen zur Neige. Das Leben wird stumm, die Herzen leer, die Freude kalt.

Und die Hoffnung auf einen Neuanfang schwindet.

Der Tod der Resignation und Verzweiflung scheint übermächtig.

Doch dann greift Frederick zu seinen Vorräten - und teilt sie aus, freigiebig. Er erzählt vom Sommer, von Sonne und duftenden Blumen, von Getreidehalmen, die sich im Wind wiegen. Er erinnert an laue Sommerabende, nasse Tauwiesen. Er lässt sie nochmal die trippelnden Pfoten hören, das Vogelgezwitscher am Morgen, das ausgelassene Mausgelächter beim Spiel. Die ganze Herrlichkeit des Lebens ist fast mit den Pfoten zu greifen, durchleuchtet das Wintergrau, füllt ihre Herzen mit Freude und Lebenslust. Sie zehren von ihrem Sommerleben - und die Worte kehren zurück. Und beginnen wieder neue, eigene Geschichten - von sich, von ihrer Vorratssuche, ihrer Winterstarre und von Frederick, der Sonnenstrahlen sammelt und Worte gegen die Einsamkeit.

Verklärtes Leben, das in den Alltag hereinbricht - ein herrlicher Moment des Ganzseins, der Vollkommenheit.

Wir sind ein bisschen wie die Mäuse in der Kolonie - unser Winter währt schon lange, die Farben und Bilder verblassen in der Erinnerung. Die Worte gehen uns aus für das, was im Leben herrlich war.

Denn es gibt sie ja, die Bergmomente voller Herrlichkeit. In denen unser Leben hell ist und sonnig und leicht. Ein Spaziergang in der Abendsonne. Vogelgesang in der Dämmerung. Ein Musikstück, ein tröstendes Gespräch. Ein Gebet, das auf Widerhall stößt.

Die seltenen Momente der Erleuchtung, der Inspiration, voller Kreativität, Mut und Aufbruch. Zeiten, in denen ich weiß, ich bin getragen, gehalten, geliebt.

In denen plötzlich alles ineinandergreift, alles Sinn macht, alles irgendwie stimmt und zueinander passt.

Es gibt sie - aber es sind nur Augenblicke - kostbar und köstlich und dabei flüchtig, vergänglich wie ein Wimpernschlag.

Denn die Herrlichkeit des Herrn hat in unserem Alltag zur Zeit nur wenig oder gar keinen Platz. Unsere Bilder sind grau und lassen wenig Raum für Farbe - unsere Sprache ist die der Zahlen, Regeln und voller ernster Sorge - da ist kein Platz für einen Blick auf das Herrliche des Lebens.

Das kann nur in unausgesprochener Hoffnung erspürt werden.

So geht es aber nicht nur uns - so geht es Menschen von Anbeginn. Und doch gibt es immer wieder Einzelne, die die Farben des Lebens in ihrem Herzen bewahren. Einige wenige, die die Worte erinnern und sie weitergeben. Die erzählen von der Herrlichkeit.

Wie hier im 2. Brief des Petrus:

Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit mit eigenen Augen gesehen.

Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge.

Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen.

Keine Fabeln, keine ausgeklügelten Märchen - sondern prophetische Worte.

Sparsame Worte - oder gewaltig und farbenprächtig. Friedliche Worte - oder überwältigend und umwerfend.

Worte, die bei jedem von uns anders klingen.

Denn jeder von uns erzählt von anderen Erfahrungen - an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit.

Wir erzählen von dem, was wir selbst erlebt haben. Jeder von seinen eigenen Momenten der Herrlichkeit - in denen wir spüren: das Leben ist kostbar und köstlich und unvergleichlich. 

Wir erzählen von unseren eigenen Zeiten der Gottesbegegnung - in denen wir wie verwandelt sind, unser Leben hell und licht ist.

Wir erzählen von unseren Bergmomenten - und vom Glanz und Elend ihrer Vergänglichkeit.

Jeder von uns erzählt eine andere Geschichte - aber unsere Worte erzählen das selbe:

Vom Einbruch himmlischer Herrlichkeit in unserem Leben, von unserem vergeblichen Bemühen, diese flüchtigen Momente festzuhalten -

Sie erzählen wahre Lebensgeschichte - damit andere sich daran festhalten können, folgen können, ermutigen können - und sich selbst ihren Blick für das Licht im Leben erhalten.

Unsere Worte erzählen von unserer Geschichte mit Gott -

bis zu dem Tag, an dem seine Herrlichkeit nicht mehr flüchtig und vergänglich unser Leben streift, sondern bleibt, ihre Hütte bei uns Menschen baut und wir darin wohnen.

Sie erzählen von unserer Suche nach der Herrlichkeit Gottes in dunklen Zeiten - bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in unseren Herzen.

Köstlich und kostbar und unvergleichlich.

Dann braucht es keine Worte mehr - denn dann ist mit Jesus Christus das erste und letzte Wort über unser Leben gesprochen.

Amen.