3. Adventssonntag - 12.12.2021

Predigt zu Lk 21, 28

 

Lesung: Jes 63, 15 - 64, 3

 

 

 „Wir haben Lust auf Neues“ - so ist der Titel des neuen Koalitionsvertrages - und die Lust wird ausgebreitet auf 177 Seiten.

Alles ist besser als das Alte - und das, was wir bieten, erlöst uns vom immer gleichen und ewig gestrigen.

So will die neue Regierung Effizienzpotentiale heben, auf  Signifikanzschwellen achten und das Identitätsmanagement vorantreiben. Die Aktionspläne im Rahmen der Open-Government-Partnership sollen weiterentwickelt, die Inhouse-Beratungskapazitäteen zu Beschleunigungsagenturen ausgebaut und ein Level-Playing-Field unterstützt werden, zu dem einheitliche Inter-Operabilitätsverpflichtungen gehören.

Zudem will die Regierung das neue Berufsbild der Community Health Nurse schaffen, die Urban Diplomacy ausbauen, eine Sustainable Finance Strategy einführen und den Roll-Out intelligenter Messysteme als Voraussetzung für Smart Grids beschleunigen.

Wenn das keine echten News sind…?

Ob das allerdings Lust macht …

 

Ich habe oft Lust auf Neues. Probiere gerne neue Gerichte aus, neuen Wein und neue Autos. Ich lerne auch gerne neue Leute kennen.

Neue Länder, neue Bücher, neue Filme - all das macht mir Freude. Macht mir Lust.

 

Nur im Advent, an Weihnachten - da mag ichs dann doch lieber alt-vertraut. Kitschige Adventskalender - so wie den hier. Immer wieder dieselben alten Lieder - Tölzer Knabenchor oder Bing Crosby, Stille Nacht oder Jingle Bells. Unseren Adventskranz kaufe ich immer auf dem Würzburger Markt, die Kerzen dazu sind immer rot und kommen vom Kerzen-Jakob. Den Weihnachtsbaum schmücken wir immer auf dieselbe Weise, die Adventssonntage begrüßen wir immer mit demselben Lied.  Und jedes Jahr backen wir dieselben drei Sorten Plätzchen - weil sie schon meine Oma immer gebacken hat.

Die Bratäpfel im Ofen erinnern an vergangene Heimat  - und die Erinnerung an das Vergangene soll von der Anstrengung der Gegenwart erlösen.

Advent ist die große Zeit alter Traditionen - obwohl wir jedes Jahr darauf warten, dass das Alte durch die Geburt des einen Neuen Menschen aufbricht, endet, selbst neu wird.

Und die Erlösung kommt.

 

Vielleicht haben wir noch nie so sehnlich darauf gewartet wie in diesem Jahr:

Befreiung von allen Regeln und Verboten Aufhebung aller Beschränkungen. Öffnung von allem, was schließen musste. Erlösung von allen Zwängen und Ängsten.

 

Viel wird darüber gesprochen - viel wird uns davon versprochen: Ist die Impfquote nur hoch genug, dann ist alles vorbei. Bleiben wir nur lang genug allein, dann steckt sich niemand mehr an. Tragen wir oft genug Maske, bleiben Schulen offen. Testen wir häufig genug, muss niemand auf etwas verzichten.

Erlösung ist uns verheißen - doch die Erfüllung bleibt aus.

Und wir warten weiter - sehnsüchtig. Das ist Advent.

Advent ist der Blick über die vertraute Heimeligkeit hinaus in die Dunkelheit der Nacht. Advent ist der Schmerz darüber, dass wir die große, herzliche Barmherzigkeit des Himmels auf der Erde nicht erleben.

Advent ist warten und klagen und schreien - in der Hoffnung, dass die Klagen gehört werden, die Schreie nicht verhallen - der Ruf nach Erlösung seine Erfüllung findet.

 

Wie aber kann das gehen?

Die Versuchung ist groß, in Selbstüberschätzung zu verfallen - und zu versuchen, uns selbst zu erlösen: durch Impfung, durch Schließung, durch Beschränkungen aller Art. Frei nach dem Motto: wenn wir nur genug verzichten und büßen - wenn wir nur genug dazu tun, dann kommt sie, die Erlösung. Dann klappt es - und alles ist vorbei.

Aber je mehr wir tun und zusperren und zwingen - desto mehr stellen wir fest: sie kommt eben nicht. Es funktioniert nicht. Statt gelöst zu leben, engen wir uns immer mehr durch neue Zwänge und Fesseln ein. Wir verschließen uns in uns selbst, richten uns nur noch nach innen aus - und laufen mit dem Blick der Selbstgerechtigkeit durch die Welt, der nur noch sich selbst sieht.

 

Und deswegen anderen die Daseinsberechtigung abspricht. Denkverbote aussprechen möchte. Nachfragen und Kritik verbieten möchte.

Mit diesem einen Blick spalten wir unsere Gesellschaft. Teilen ein in Gute und Böse, in Pandemietreiber und Lebensschützer, in Geimpfte und Ungeimpfte. Wir wären ja alle schon längst erlöst, wären da nicht die anderen … die die Erlösung verhindern.

Wir  verschließen unseren Blick voreinander. Wir sehen „die anderen“ nicht mehr so, wie sie sind. Hören ihren  Fragen  nicht mehr zu; haben kein Verständnis mehr für die  Position der einen, akzeptieren die Zweifel der anderen nicht mehr - weil einfach alle Unrecht haben, die nicht meiner Meinung sind. Die Klagen der einen werden aufgerechnet gegen die moralische Übermacht der anderen - und alles endet in gegenseitigem Anschreien, Überschreien, Totschreien.

 

Erlösung sieht anders aus.

 

Erlösung ist nicht machbar. Es gibt für sie kein Erfolgsrezept - zumindest keines, das wir nachbacken könnten.

Sie kommt auch nicht, wenn wir immer wieder das gleiche tun oder immer wieder dieselben Töne sagen und hören. Nicht einmal dann, wenn wir alte Wirklichkeit  in neue Sprache verpacken. Sie stellt sich nicht auf Zuruf ein und ist nicht abhängig von unserem moralischen Gutsein.

Erlösung ist größer, radikaler, gefährlicher als alles, was wir schaffen könnten.

Sie bricht über uns herein, wenn wir nichts mehr haben als ungeduldige, wütend brodelnde Worte - weil nichts zu sehen ist, dass die Dunkelheit erhellt. Weil nichts passiert, was die Zwänge beseitigt.

Wir erleben sie, wenn einer das befreiende Wort spricht -

Wenn einer sagt: Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

 

Auf die Aussicht kommt es an.

 

Erlösung ist das, was wir spüren und erleben, wenn wir unseren Blick heben und aufsehen. Wenn wir über uns und unser kleinliches ICH hinaussehen können. Wenn unser Blick frei schweifen kann, nicht im Dunkel der Gegenwart stecken bleibt, sondern dahinter das Licht am Ende des Tunnels sucht und sehen kann.

Wenn wir frei genug sind, nicht nur uns zu sehen, sondern erkennen, dass die Welt um mich als genauso gefährdet, unsicher, ängstlich und erlösungsbedürftig wie ich.

 

Dann reißt der Himmel auf und das Licht bricht hinter den Wolken hervor.

 

Auf diese Aussicht kommt es an.

 

Also: Seht auf - und erhebt eure Häupter - weil sich eure Erlösung naht!

Uns neu macht.

 

Amen.