16.01.2022 - 2. Sonntag nach Epiphanias

Predigt zu 1 Kor 2, 1-5 (2 So n. Epiphanias)

 

 

Am Dienstag war der weltweite Tag des Apfels - vielleicht haben Sie es ja mitbekommen. In allen Zeitungen, im Radio gab es Beiträge zum Apfel an sich im Allgemeinen und zu seinen Wohltaten im Besonderen. Eine davon ist angeblich besonders segensreich: an apple a day keeps the doctor away - ein deutsches Pendant dazu scheint es nicht zu geben. Die deutsche Übersetzung „ein Apfel pro Tag hält den Doktor fern“ ist so korrekt wie korrekt-langweilig und also als Zitat nicht geeignet.

 

Dabei bin ich gar nicht sicher, ob der Apfel wirklich so gesundheitsfördernd ist.

Immerhin verdanken wir ihm den Ausgang des Menschen aus paradiesischer Lebenseinheit mit Gott - hin zu der Lust an eigenem Wissen und Erkenntnis.

 

Mit allen Vor- und Nachteilen.

Ich möchte nicht auf die Möglichkeiten verzichten, mir Wissen und Erkenntnisse über die Welt anzueignen, über Gott, über mich selbst. Ich finde nämlich, je mehr ich weiß, desto mehr Anlass habe ich, über das zu staunen, was es immer noch mehr zu wissen gibt. Jedes Stück Erkenntnis macht die Welt ein bisschen dunkler, ein bisschen heller, ein bisschen bunter - aufregender und spannender.

Aber mit der Erkenntnis, dem Wissen beginnt leider auch die Crux des Menschen.

Und selbst Paulus kann davon berichten:

 

Auch ich, meine Brüder und Schwestern, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu predigen. 2 Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten. 3 Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; 4 und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit, sondern im Erweis des Geistes und der Kraft, 5 auf dass euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.

 

In der Grundschule bespreche ich mit den Vierklässern gerade Elisabeth von Thüringen - vielleicht kennen Sie die Geschichte ja: mit 4 Jahren von zu Hause aus Ungarn nicht Eisenach auf die Wartburg. Mit 14 Frau des Landgrafen, mit 20 Mutter von drei Kindern und verwitwet, mit 24 tot. Dazwischen: das Leben einer Prinzessin, Landgräfin, einer mittelalterlichen Sozialarbeiterin. Auch wenn ihre Standesgenossen nicht so sehr von ihr angetan sind. Denn Elisabeth ist vor allem für ihren Frömmigkeit bekannt, ihren unermüdlichen Einsatz für die Armen und Kranken.

Sie lebt, was Paulus sagt: Sie weiß nur Christus. Seinem Vorbild will sie folgen. Das ist alles, was ihr wichtig ist. Dafür wirft sie alles Weltwissen, alle Weltweisheit über Bord. In den Augen ihrer Umwelt verhält sie sich höchst anstößig:

 

Von klein auf lehnt sie ihren Schmuck, ihren Reichtum, sogar ihre hervorgehobene Stellung ab. Statt dessen liegt ihr daran, das Leben der Bevölkerung zu verbessern, Armut und Elend zu beseitigen.

 

Das prägt sie so sehr, dass sich Legenden um ihr Leben bilden - und sie zur Heiligen stilisiert wird.

Posthum natürlich.

Zu ihren Lebzeiten ist ihrer Umwelt ihr Verhalten vor allem ein Ärgernis, ihre Fixierung auf Christus stört die weltliche Ordnung.

 

In den letzten Tagen ist in unseren Nachrichten viel zu hören und zu lesen von Novak Djokovic. Sie haben das mitbekommen? Serbischer Tennisstar, Hoffnungsträger seines Landes, im Moment in Australien zu einem Turnier. Und im Gespräch, weil er illegal eingereist sein soll, mit falschen Daten und falschen Testergebnissen - unter Verstoß gegen die Einreise- und Impfbestimmungen.

Dazwischen: Leben eines Sportlers, Nationhelden, Märtyrers. Hochstilisiert zum Heiligen: „Jesus wurde gekreuzigt, ihm wurde alles angetan, und er ertrug es und lebt immer noch unter uns“ - so der Vater auf einer Pressekonferenz. „Jetzt versuchen sie Novak auf die gleiche Weise zu kreuzigen und ihm alles anzutun.“

 

Auch sein Leben also ein Ärgernis, sein Verhalten anstößig - weil er nichts als Christus weiß?

Wohl eher das Gegenteil.

Elisabeth stört die weltliche Ordnung, weil sie dem Beispiel Jesu folgt - und für andere lebt.

Djokovic stört die weltliche Ordnung, weil er ausschließlich seinen Bedürfnissen folgt.

Er möchte recht haben, will seinen Weg, seine eigene Weisheit bestätigt sehen und rechtfertigt sich selbst.

Elisabeth will gerecht leben und anderen ihr Recht verschaffen.

 

Djokovic will Christus gar nicht wissen - er weiß nur sich selbst. Bei ihm ist von Schwachheit und großem Zittern nichts zu spüren. Keine Selbstzweifel, kein Hinterfragen des eigenen Handelns.

 

Es ist leicht, Elisabeth zu verehren - und genauso leicht, Novak Djokovic zu verurteilen. Aber wie ist das mit uns? Sind wir Elisabeth? Oder nicht doch eher alle ein bisschen Novak?

 

Einer meiner Schüler hat mich gefragt, warum Elisabeth nicht einfach ihre Macht als Fürstin genutzt hat, um die Lebensverhältnisse der Menschen zu ändern. Warum benutzen wir nicht einfach unser Wissen, unsere Weisheit - und ändern all das Elend, die Armut, die Ungerechtigkeiten?

 

Vielleicht hat Elisabeth ja gespürt, dass das der falsche Weg wäre. Dass die eigene Macht der Apfel der Versuchung wäre, das Paradies auf Erden herzustellen - und dass das nicht funktioniert.

Vielleicht hat sie ja gespürt und verstanden, dass wir sie aushalten müssen, die Anstößigkeit unseres Erlösers. Das Ärgernis, dass er auf seine Macht verzichtet hat, um uns in unserer Schwachheit nicht alleine zu lassen.

 

Gott wagt es, zu scheitern. Er setzt sich selbst gegen unsere weltweisheitliche Ordnung - und er scheitert. Das ist ärgerlich - und es macht mich manchmal hilflos. Weil das Kreuz alles ist, was wir uns selbst entgegenhalten können. Leid gegen Leid, Ohnmacht gegen Ohnmacht. Keine machtvolle Überwindung - nur Aushalten, Mitleiden, begleiten.

Das ist mir zu wenig - ich möchte mehr. Machtvolle Worte. Kraftvolle Taten. Herrliche Siege am Ende.

Aber Gott wagt es, zu scheitern.

Dadurch kommt er mir ganz nahe. Kennt mein Leben - mein Scheitern - und übertrifft es noch. Alles, was mir widerfährt, ist schon aufgehoben in ihm.

Am Kreuz erlebt Gott sein größtes Scheitern. Das ist Gottes Weisheit letzter Schluss. Und der Startschuss für mich, für uns.

Für ein neues Leben.

 

Ich kann scheitern - auch in diesem neuen Leben.

Aber ich muss nicht mit großen Worten drum herum reden.

Ich kann hässliche Dinge erleben - aber ich muss nichts mehr beschönigen.

Ich kann ungerecht behandelt werden - aber ich muss mich dafür nicht mehr rechtfertigen.

Ich kann immer wieder der Versuchung erliegen, ausgiebig von der Frucht meines eigenen Wissens zu kosten und weiterzugeben - aber auch sicher sein, dass Christus meine vermeintliche Weisheit immer wieder durchkreuzt.

 

Das ist oft ärgerlich, manchmal anstößig.

Es führt mir meine Schwachheit vor Augen und meine Lebensfurcht.

Aber es zeigt mir immer wieder, dass ich nicht aus mir heraus leben und glauben muss - sondern aus Gottes Kraft.

Das ist keine Kraft, mit der ich protzen kann. Und keine, die mich zum Heiligen macht. Aber ich kann sie spüren. Wenn Trauernde getröstet aus einem Gespräch gehen. Wenn Fragende durch einen Segen neuen Mut fassen. Oder sich durch eine Begegnung neue Lebensperspektiven auftun.

Seine Kraft wirkt immer dann, wenn ich am Ende meiner Weisheit bin.

Denn dann bin ich frei, nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten.

 

Amen.