23.01.2022 - 3. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zu Mt 8, 5-13

 

 

 

In der Schule und im Konfi-Unterricht werde ich immer wieder gefragt, ob das alles wahr ist, was in der Bibel steht.

Was würden Sie auf diese Frage antworten?

 

(auf Antworten warten)

 

Bei meiner Antwort merke ich immer, dass ich nicht nur Theologie, sondern irgendwann auch mal Jura studiert habe: die lautet nämlich fast immer: Das kommt darauf an.

Damit habe ich mich auch schon recht häufig in die Nesseln gesetzt - nicht bei den Kindern, aber bei Kollegen oder anderen, die sich selbst als besonders fromm verstehen.

Denn für viele ist es gar keine Frage: natürlich ist alles wahr.

Das bestreite ich auch gar nicht.

Ich frage nur immer nach: was heißt denn Wahrheit?

Und das ist kein pseudo-philosophisches Geplänkel, sondern eine ernst gemeinte Nachfrage.

Es gibt die reine Faktenwahrheit - nennen wir es mal so: Darunter verstehe ich: 2+2=4. Mathematiker bezeichnen das sicher anders, aber zum Glück bin ich ja keiner.

Wenn ich diese Wahrheit in der Bibel suche, dann wird es schwierig - da stimmen Sie mir vermutlich zu. Dann geht es nämlich gleich im Anfang los: Im Anfang schuf  Gott Himmel und Erde - und zwar in sieben Tagen in einer bestimmten Reihenfolge.

Wir wissen, dass das so nicht stimmt.

Naturwissenschaftlich betrachtet.

 

Aber ich finde, es geht in den biblischen Texten nicht um Faktenwissen - sondern um erfahrene Wahrheiten. Um erlebte Wahrheiten. Beziehungswahrheiten, die unsere Beziehungen zu anderen Menschen und zu Gott betreffen.

Und da - so sage ich das auch den Kindern - da ist die Bibel immer und an jeder Stelle wahr.

Nur müssen wir manchmal eben zwischen den Zeilen lesen - wie z.B. auch in dem Predigttext von heute. Wir haben ihn vorhin gehört - es ist die  Geschichte des Hauptmanns von Kapernaum.

So oder ähnlich wie wir sie gerade gehört haben, steht sie an mehreren Stellen im Neuen Testament. Eigentlich eine eindeutige Erzählung - in der es, zumindest auf den ersten Blick, um das blinde Vertrauen geht, das der Hauptmann in Jesus setzt: Sprich nur ein Wort, so wird er gesund.

 

Lesen wir den Text so, wie Luther ihn übersetzt, dann lesen wir von einem Jesus, der eifrig ist, der Bitte um Hilfe nachzukommen: „Ich will kommen und ihn gesund machen.“ Wörtlich übersetzt steht da: „Ich ein Kommender, ihn gesund zu machen.“

Das kann eine Zusage sein: „Ich komme.“

Es kann aber auch eine Nachfrage sein: „Soll ich kommen?“

Oder sogar eine Provokation: „Ich soll kommen?“  „Ich soll kommen?“

Welche Lesart ist jetzt wahr?

Und auch das ist keine rein akademische Frage. Sondern in Wahrheit eine nach unserem Bild von Jesus. Nach unserer Beziehung zu ihm.

Wer ist denn dieser Jesus in Wahrheit? Der eifrige und zugewandte Helfer und Heiler, der selbstverständlich auf jede Anfrage hin reagiert und hilft - egal, wer ihn da fragt?

Oder vielleicht einer, der die Anfrage eines Römers, eines Besatzers und Heiden, erst mal als Zumutung, als Anmaßung empfindet?

 

Und der den Bittsteller dann auch mit seiner Antwort - erst mal - rüde vor den Kopf stößt: „Soll ich etwa losziehen, ihn gesund zu machen?“

 

Was ist Ihr erster Impuls? Welchen Jesus hätten’s denn gern?

Den Ich-hab-euch-alle-lieb-Jesus? Oder den anderen? Der sich den Erwartungen widersetzt, an dem man sich reiben kann, der auf-regt?

 

Der erste ist einfacher zu händeln.

Der zweite taucht aber im weiteren Text nochmal auf: Nach der überraschenden Antwort des Hauptmanns folgt die Reaktion: „Amen, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden.“

Das sagt er nicht etwa dem Hauptmann als Ermutigung. Keine Bestätigung für den Bittsteller. Sondern eine Beschimpfung des Publikums. „Er hier - der Fremde, der Eindringling - er glaubt. Und ihr - die eigenen Leute - ihr nicht.“

 

Hier spricht kein lieber Schönwetter-Jesus.

Sondern einer, der widerständig ist. Der die Wahrheit sagt - auch wenn er damit andere vor den Kopf stößt. Die Wahrheit muss ertragen und ausgehalten werden - auch gegen die Mehrheit der Massen.

 

Wenn das jetzt aber die Quintessenz aus dem Text wäre - dann wäre mir das zu wenig.

Und es geht ja auch noch weiter. Denn Jesus bleibt nicht im Widerstand. Er verharrt nicht als Reibungsfläche.

Sondern er reagiert - auf die Bitte eines Menschen, der aus Liebe bittet. Dem etwas an dem Kranken liegt.

Und hier finde ich, ist der spannendste Teil der Geschichte:

 

Denn der Hauptmann antwortete und sprach: „Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst; sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. Denn auch ich bin ein Mensch, der Obrigkeit untertan, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem anderen: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er’s.“

 

Und hier liegt für mich der Knackpunkt. Ich finde nämlich, wir können gar nicht sicher sein, worin Jesus jetzt den besonderen Glauben sieht: in der Annahme, dass ein Wort von ihm genügt, um zu heilen? Oder in der Übertragung der Alltagserfahrung des Hauptmanns auf sein Wirken?

Der Hauptmann vertraut darauf, dass Jesus heilen kann, weil er selbst weiß: was ich sage, wird gemacht. Wenn Jesus sagt, der Kranke wird gesund, dann wird er gesund.

 

Der Hauptmann ist kein großer Experte für Religion. Eigentlich hat er gar keine Ahnung davon. Alles, was er weiß, ist seine Welt. Sein Alltag.

Und das reicht aus.

Er bezieht seine Alltagswelt auf Gott. Er stellt Jesus gerade nicht auf einen besonders hohen Sockel - sondern zieht ihn hinein in sein eigenes Leben. Das, was er kennt, deutet er auf Jesus hin - und umgekehrt. Er bindet Gott in sein Leben ein.

 

Und Jesus bestätigt ihn genau darin: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden.

 

Vielleicht ist es genau das, was wir bei unseren Fragen nach der Wahrheit vergessen: Dass wir uns selbst, unsere Erfahrungen, unser Leben mit Gott in Beziehung setzen.

Und unser Alltag durchlässig wird für das Göttliche.

Dass wir erkennen, dass wir es überall finden, spüren, erfahren können - in der Arbeit, in der Begegnung mit anderen Menschen, in einem Moment der Schönheit, in einer Zeit des Schmerzes.

Nichts existiert, was ohne Bezug zu Gott ist.

 

Ich glaube, das ist es, was der Hauptmann verstanden hat.

Wir sind nicht alleine gelassen in einer profanen Zeit.

Unsere Welt ist nicht gottlos.

Sondern deutungsbedürftig.

Also deuten wir unser Leben - hin auf Gott. Als wechselseitige Beziehung, in der sich Gott und Menschen aufeinander zubewegen.

Vertrauen wir darauf, dass wir aus dieser Beziehung heraus leben und die Welt angefüllt ist mit Gott.

Und glauben wir daran, dass Gott Teil unseres Lebens ist.

Dann geschieht auch uns, wie wir geglaubt haben.

 

Amen.