Reminiszere - 13. März 2022

Teil 1 - Vorstellung einiger Plakate

 

Alles hat seine Zeit - wir haben es gerade gehört. Alles, was zum Leben gehört, hat seine Zeit: lachen und weinen, lieben und streiten.

Aber eben auch Leben und Sterben hat seine Zeit.

Das wissen Sie. Und ich.

Und das ist ein Wissen, dass wir Erwachsenen gerne für uns behalten. Um die Kinder zu schützen. Um ihnen die Leichtigkeit des Lebens zu erhalten.

Wir schieben den Tod gerne weg. Lagern das Sterben aus in Heime oder Krankenhäuser. Und vergessen so viel zu oft, dass das Sterben auch Teil des Lebens ist. Dass beides zusammengehört und sich gegenseitig bedingt.

 

Die Kinder wissen das aber. Sie stellen Fragen nach Leben und Tod. Weil sie ja auch selbst erleben, dass Menschen sterben, die Teil ihres Lebens waren.

Deshalb haben sich auch die Kinder das Thema Leben und Tod gewünscht.

Also haben wir im Unterricht darüber gesprochen. Haben gesammelt, was zum Leben gehört, was zum Sterben. Und die Kinder haben eine Collage zum Thema erstellt. Mit Zeitungsausschnitten, Texten und eigenen Bildern.

Ein paar davon möchten wir Ihnen jetzt vorstellen.

 

Kinder stellen ihre Plakate vor

 

Musik

 

Predigt:

Alles hat seine Zeit - so haben wir das vorhin gehört.

Auch Leben und Sterben hat seine Zeit - sagt der Prediger Salomo.

Wissen wir alle.

Und wenn wir den Lesungstext nochmal erinnern, dann klingt das beim Prediger sehr abgeklärt. Das ist einfach so. Finde dich damit ab. Du wirst es nicht ändern. Und es ist gut so, wie es ist.

 

Manchmal stimmt das auch. Manchmal kommt der Tod wie ein langersehnter Freund - und beendet ein Leben, das nur noch aus Schmerz besteht. Das Leben hatte seine Zeit - und alle, die es miterlebt haben, das Gefühl, diese Zeit war am Ende zu lang. Der Tod kommt als Erlösung.

Auch dann tut es weh, wenn jemand stirbt. Auch dann schmerzt es, Abschied zu nehmen. Auch dann trauern wir - und es ist Zeit zu weinen.

Aber wir wissen, dass die Zeit zu leiden vorbei ist. Und das tröstet, und erleichtert den Abschied.

 

Und wir können die Abgeklärtheit des Predigers nachempfinden, wenn wir sagen: leben hat seine Zeit - und sterben hat seine Zeit. Und es ist gut so.

 

Die Kinder haben uns aber gerade mit ihren Plakaten gezeigt, dass es nicht immer gut so ist.

Es gibt ihn - den unzeitigen Tod. Das vorzeitige Sterben.

Das nicht friedlich kommt und von Schmerzen erlöst - sondern schmerzhaft klar macht, wie brüchig und gefährdet unser Leben ist. Wie kostbar die Zeiten sind, in denen wir lachen und tanzen und herzen und lieben. Weil die anderen Zeiten unvermittelt und plötzlich über uns hereinbrechen können.

Und wir ihnen dann viel zu oft alleine und schutzlos gegenüber stehen.

 

So wie es die Zeit erinnert, in der wir uns gerade politisch befinden. Krieg war immer ein Teil unserer Welt - aber plötzlich ist er uns nahegerückt. Betrifft Freunde, vielleicht sogar Verwandte direkt. Und greift spürbar in unser aller Leben ein. Ignorieren fällt schwer, wegschieben funktioniert nicht mehr. Der Tod ist auf dem Weg, allgegenwärtig zu sein.

 

So ist es auch in der Zeit, die wir gerade liturgisch erleben. So erzählt es uns der Predigttext von heute:

 

Lesen Mt 26, 36-46

 

Der Tod kommt - unausweichlich. Krieg führen, kämpfen - für Jesus ist das keine Option. Sich verteidigen gegen den bevorstehenden Überfall - das kommt für ihn nicht in Frage.

Konsequenter Pazifismus - aber nur für sich persönlich. Andere sind nicht betroffen.

Freunde und Verwandte sind nicht in Gefahr - zumindest nicht körperlich.

Aber sie laufen Gefahr, ihre Seele zu verlieren. Ihre Selbstachtung - vielleicht sogar sich selbst. Dabei könne sie gar nicht viel tun - und sie sollen auch nicht viel tun.

Sie sollen keine Waffen liefern. Sollen sich nicht zum Kampf rüsten. Sie sollen nicht eingreifen.

Sie sollen nicht viel tun.

 

Nur:

Wachbleiben.

Ausharren.

Mitbeten.

All das hat seine Zeit - doch die ist noch nicht gekommen.

 

Im Garten Gethsemane kommt alles auf engem Raum zusammen.

Hier und jetzt ist Jesus so menschlich wie seit seiner Geburt nicht mehr.

Angst hat ihre Zeit.

Zweifeln hat seine Zeit.

Jetzt wäre die Zeit der Weggefährten.

 

Der Garten ist voller Menschen.

Doch niemand ist da. Niemand ist an seiner Seite.

Alles hat seine Zeit - doch für seine Ängste, seine Fragen hat niemand Zeit.

Wachbleiben wäre jetzt an der Zeit - doch die anderen schlafen.

Trösten wäre jetzt an der Zeit - doch sie bleiben stumm.

Stattdessen spricht der Garten.

Er ist Zuflucht, Ort der Ruhe, Raum für Gebet.

Ein kleines Stück Paradies gegen die bevorstehende Hölle.

 

Und zugleich Ort der Entscheidung.

Der ganz Andere Garten.

Denn im Paradies vertrauen wir unseren Fähigkeiten. Probieren wir unsere Möglichkeiten aus. Übernehmen wir keine Verantwortung, sondern schieben Schuld und Handlungspflicht auf die anderen: Eva war’s - die Schlange war’s. Ich bin nicht schuld - die anderen sollen’s richten. Gott fragt - und wir antworten und weichen aus.

Wir leben noch im Paradies - und sind schon auf dem Weg hinaus - in die Andere Welt.

 

 

Ganz anders im Garten Gethsemane.

Hier stellt Jesus, der Mensch, der ganz bei Gott ist, seine Fragen - und erhält keine Antwort.

Hier beschränkt Jesus, der Mensch, der alle Möglichkeit hat, sich selbst - und vertraut: Nicht wie ich will - sondern wie du willst.

Der Heiler verzichtet auf Medizin für sich - und rettet damit die Welt.

Der Schuldlose übernimmt Verantwortung dafür, dass wir unserer Verantwortung ausweichen.

 

Wir schlafen - aber es gibt ein böses Erwachen. Denn wenn wir aufwachen, ist es zu spät: Siehe, er ist da, der mich verrät.

 

Wir stehen am Beginn der Passionszeit.

Alles hat seine Zeit - und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.

Jetzt ist es Zeit, dass unser Innen mit dem Außen korrespondiert. Dass wir aufwachen aus dem paradiesischen Adamsschlaf und uns der Realität stellen.

Und aushalten, was da geschehen in jener Nacht:

Was wir nämlich in Eden begonnen haben - wird in Gethsemane zurechtgerückt.

Wir haben eine Zukunft - doch ihr Ursprung ist im Leiden eines anderen.

Leben hat seine Zeit - doch unser Leben hat seinen Grund im unzeitigen Sterben eines anderen.

 

Das können wir nicht mehr rückgängig machen. Wir können nicht zurück ins Paradies.

Aber wir können wach bleiben in Gethsemane. Ausharren in der Gegenwart. Beten für eine Zukunft aller Menschen.

Wir können nicht zurück ins Paradies.

Aber wir können den Raum nutzen, den Jesus uns erlitten hat. Einen Raum, in dem immer die rechte Zeit ist:

Füreinander zu leben.

Einander zu helfen.

Miteinander zu gehen.

 

Siehe, die Stunde ist da. Also steht auf - und lasst uns gehen.

Amen.