Exaudi, 24. Mai

Predigt zu Jer 31, 31-34 (Exaudi 20)

 

31 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen,

32 nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, mein Bund, den sie gebrochen haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der Herr;

33 sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein.

34 Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den Herrn«, denn sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der Herr; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.

 

 

Liebe Gemeinde,

Exaudi!

Höre!

 

Hör einfach zu, was ich dir sage!

Hör einfach hin auf das, was in meinen Worten unausgesprochen mitschwingt!

Wer Ohren hat, zu hören - der höre!

Eigentlich ganz einfach - oder vielleicht doch nicht!

 

Das mit dem Hören ist so eine Sache. Ein Beispiel: Er, am Donnerstag:

„Schatz, was wollen wir denn am Wochenende unternehmen?“

Sie: „Wieso am Wochenende? Ich bin doch gar nicht da.“

Er: „???“

Sie: „Ich bin auf dieser Fortbildung.“

Er: „Davon hast du gar nichts gesagt.“

Sie: „Das hab ich dir doch erzählt.“

Er: „Davon hast du gar nichts gesagt.“

Sie: „Es steht sogar im Kalender.“

Er: „Aha. Aber mir hast du davon nichts erzählt.“

Sie: „Also, wir haben doch erst vor einer Woche darüber gesprochen, dass du unsere Kinder zum Sport fahren musst, weil ich nicht da bin.“

Er: „Ach so - ich dachte, das wäre einfach mal so eine Idee gewesen.“

Sie: „Also, das ist doch nicht zu fassen - du hörst mir einfach nie zu….“

Und so weiter - eine wahre Endlosschleife kündigt sich an.

Da hilft es oft nur, das Thema zu wechseln. Einen neuen Faktor ins Gespräch zu bringen.

 

Ähnlichkeiten mit lebenden oder anwesenden Personen sind natürlich völlig unbeabsichtigt. Trotzdem werden die meisten von uns solche oder ähnliche Gespräche kennen.

Das Zuhören ist nicht einfach - es gibt dafür sogar ein wissenschaftliches Modell dafür.

Das „4-Ohren-Modell“: Jeder von uns hat eigentlich vier Ohren - zumindest im Gespräch.

 

(Bild hochhalten) 

Bsp: Sie sitzen im Auto, Ihr Mann / Ihre Frau neben Ihnen. Die Ampel wird rot, Sie bremsen ab, bleiben stehen. Das dauert wieder mal. Unweigerlich schweifen Ihre Gedanken ab. Bis zu jenem berühmten Satz ihres Beifahrers: „Die Ampel ist grün.“

Ein ganz normaler Satz. Eine sachliche Information. Ein Blick von Ihnen auf die Ampel - und Sie stellen fest, ob es stimmt oder Ihre Beifahrerin mal wieder Fake News erzählt.

 

Sie kenne sich aber beide schon gut, vielleicht zu gut. Sie wissen: er erzählt nie etwas ohne Hintergedanken. Der Satz ist eine Aufforderung: Jetzt fahr schon los. Wie lange willst Du denn noch hier herumstehen? (Appellfunktion)

 

Leider wissen wir als unbeteiligte Zuschauer nun auch schon so einiges über Ihre Beziehung - je nach  Tonfall oder Gestik Ihres Beifahrers oder je nach dem, was Sie hören!

Die Ampel ist grü-hün!! (Muss ich Dir denn immer alles sagen? Kriegst Du nichts alleine auf die Reihe?)

Oder:

Es ist grün (seufz) = Schade, gerade jetzt, wo ich dir einen Kuss geben wollte.

Egal, wie Sie den Satz auch aussprechen, egal, wie Sie in hören - in jedem Fall verraten Sie dabei etwas über sich selbst. Über Ihre Gefühle, Ihre Bedürfnisse, Ihre Ansichten.

 

Also - wenn Sie das nächste Mal an einer roten Ampel stehen - bleiben Sie lieber still!

 

Wir hören also viel, wenn wir miteinander reden - vieles, was wir hören sollen - und vieles, was andere beim Reden von sich preisgeben. Absichtlich oder unabsichtlich.

Dabei wäre es so wichtig, beim Reden selbst noch zu hören - sozusagen mit hörendem Herzen zu reden. Um wahrzunehmen, wie mein Gegenüber das aufnimmt, was ich sage. Und um Verletzungen zu vermeiden. Missverständnisse zu vermeiden.

In einer persönlichen Beziehung ist das einfach.

Aber sonst?

 

Am Donnerstagabend lief die letzte Folge von Germany’s Next Top Model - das große Finale. Vier Mädchen, die ihre Träume bis kurz vor den Sieg nicht nur geträumt, sondern gelebt haben. Sie haben sich ausprobiert, haben gekämpft, sich entwickelt. Sind gewachsen an den Herausforderungen des Wettbewerbs. Sind im Wettkampf erwachsen geworden.

Eine von ihnen hat aufgegeben. Hat ihre große Chance nicht wahrgenommen.

Lijana ist gewaltsam aus ihrem Traum gerissen worden - denn sie hat denen zugehört, die anonym in den social medias über sie hergefallen sind. Sie beschimpft und bedroht haben - nicht nur virtuell. Sondern ganz konkret, sie und ihre Familie. Lijana steht zurzeit unter Polizeischutz, weil sie Morddrohungen erhält. Missverständnisse ausgeschlossen.

Alle vier Ohren können hier nur Hass und Gewalt heraushören.

 

In den letzten Wochen wird wieder demonstriert. Für die Freiheit unserer Gesellschaft, für unsere Grundrechte. Das ist gut.

Wer aber genau hinhört, der hört wenig von Freiheit - dafür aber viel von Zersetzung und Menschenverachtung. Von Angstmacherei der schlimmsten Sorte.

Von Weltverschwörung und Fremdenhass. Die Theorien, die hier kursieren, sind so hanebüchen, dass ich sie gar nicht wiederholen möchte.

 

Der, der so redet - der kann nicht mehr zuhören. Nicht der Stimme der Vernunft und auch nicht der Stimme der Vergebung. Denn alles, was er hört, sind eigene Stimmen - von Gewalt und Zerstörung.

Und der, der ihm zuhört, ist machtlos - denn was kann ich gegen offensichtliche FakeNews, gegen die Appelle zur Zerstörung, gegen absichtsvolle Beziehungslosigkeit, gegen die Offenbarung von so viel ängstlich hassendem Selbst schon tun?

 

Da könnte man auf die Idee kommen und das mit dem Zuhören einfach bleiben lassen. Gar nichts mehr hören.

Die Nachrichten abstellen. Sich aus den social medias zurückziehen. Nichts mehr hören, damit ich nicht immer das Falsche hören muss.

 

Das wäre ein Weg - aber eher keine Lösung. Sondern ein neues Problem.

Denn ein Leben ohne Worte ist ein Leben ohne Beziehung.

Aber ein Leben aus den falschen Worten heraus ist genauso todbringend wie eines in Beziehungslosigkeit.

 

Vielleicht würde es also helfen, neue Worte zu finden.

Das Thema zu wechseln  und einen neuen Faktor ins Gespräch zu bringen.

Denn siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, da will ich mit euch einen neuen Bund schließen.

Neu anfangen - und das Alte hinter sich lassen.

Nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit euren Vätern geschlossen habe, mein Bund, den sie gebrochen haben,

Neue Worte ins Gespräch zu bringen - die die alten irrelevant werden lassen.

Neue Appelle zu formulieren - die die alten übertönen und zu neuem Handeln aufrufen.

Das soll der neue Bund sein, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in dein Herz geben und in deinen Sinn schreiben, und du sollst mein Volk sein und ich will dein Gott sein.

 

Unser eigenes Selbst offenbaren - als Menschen, deren Herzen und Sinne nicht mit Hass gefüllt sind und die ohne Angst durch die Krise hindurch gehen.

Als Menschen nämlich, die hören, welche  Worte wirklich zählen:

Mein Herz hält dir vor dein Wort: / »Ihr sollt mein Antlitz suchen.«

Darum suche ich auch, Herr, dein Antlitz.

 

Und was wir dort finden und von ihm hören, sind keine Fake News - sondern Worte, die uns lebendig machen und voller Hoffnung. Worte, die uns in die Gemeinschaft zurückführen, uns ermutigen - denn sie offenbaren ihn selbst.

Sie sind uns ins Herz und den Sinn gegeben - wir sollen sie sprechen und weitergeben.

Damit alle, die sie hören, das Leben haben.

 

Amen.