8. Sonntag nach Trinitatis - 02. August

Predigt zu Joh 9, 1-7

 

 „Ich bin das Licht der Welt - wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ So beginnt Jesus eine Predigt an die allseits bekannten Schriftgelehrten und Pharisäer.

Verselang, seitenlang hält er ihnen einen Vortrag über seine Vollmacht. Redet sich die Zunge wund über sein Leben und Handeln, das Zeugnis ablegt von dieser Vollmacht, von Gott, dem Vater. Siebenundvierzig Verse in langen, wohlgesetzten Worten dauert seine Ansprache - Er  redet sich den Mund fusselig, aber ohne Erfolg. Alles, was er erreicht, ist, dass die Pharisäer in ihrer Blindheit anfangen, ihn mit Steinen zu bewerfen.

 

Also wird es Zeit für einen Strategiewechsel. Er geht - und hört auf zu reden.

Er handelt.

 

1 Denn im Vorübergehen sah er einen Menschen, der blind geboren war.

 2 Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?

 3 Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.

 4 Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.

 5 Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.

 6 Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden

 7 und sprach zu ihm: Geh zu dem Teich Siloah – das heißt übersetzt: gesandt – und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.

 

Die Jünger erliegen dem Irrtum, es ginge um Sünde und Schuld. Darum, dass die Krankheit eine Strafe ist für Jugendsünden der Eltern oder eigenes falsches Verhalten.

Das kann uns heute ja nicht mehr passieren - das wissen wir besser.

Oder?

 

Oder hat sich bei uns einfach nur der Sündenbegriff verschoben - weg vom Ursprung der Krankheit hin zu den Folgen - aber nicht für den Einzelnen, Betroffenen, sondern für die Gesellschaft? Nämlich hin zu den Kosten?

Sind nicht auch wir dabei, die Gesundheit zur Pflichtübung zu erheben?

Am besten schon vor der Geburt - wie viel Leid und Krankheit könnte uns erspart bleiben, wenn die Eltern ihr werdendes Kind schon im Mutterleib auf evtl. Behinderungen hin untersuchen lassen. Und dann sind sie ja wirklich selbst schuld, wenn sie es zur Welt bringen und der Allgemeinheit dadurch auch noch die Kosten für die Behandlungen auferlegen.

 

Und sollen die Kassen wirklich für Krankheiten aufkommen, die durch das Rauchen verursacht werden? Ist es nicht sinnvoller, Arztrechnungen durch selbstverschuldete Unfälle von den Verletzten selbst zahlen zu lassen? Wir sind auf dem besten Weg, den Menschen nur noch als Mittel zum Zweck von Einsparungen zu sehen. Hauptsache gesund - alles andere interessiert nicht.

Sünde im Gesundheitssystem ist alles, was die Kassen ihr Geld kostet.

 

Und was ist mit den Corona-Hotspots, die immer wieder gemeldet werden? Da ertappe ich mich doch selbst bei dem Gedanken: Naja, wenn die auch keinen Abstand halten - wenn die auch keine Masken aufsetzen - selbst schuld. Wenn die auch unbedingt in die Türkei fahren müssen - selbst schuld. Und da soll auch noch die Allgemeinheit für die Tests zahlen?

 

Wir sind wie die Jünger.

 

Aber Jesus öffnet uns die Augen - denn er sieht nicht Schuld und Sünde. Das interessiert ihn überhaupt nicht. Er sieht den Menschen - im Vorübergehen nimmt er uns in den Blick.

Und er degradiert uns gerade nicht zum Objekt göttlicher oder menschlicher Interessen. Denn der Blinde ist nicht blind, damit Gott an ihm heilvoll wirken kann.

Das wäre tatsächlich ein Gott, auf den wir alle gut verzichten können - einer, der die Krankheiten schafft, damit sein Wunderkind Jesus sich seinen Namen als Jehoschua, Helfer der Menschheit, auch werbewirksam verdienen kann.

Das wäre in der Tat ein höchst teuflischer Zynismus.

 

Aber Jesus interessiert die Schuldfrage nicht - die ist Teil der Vergangenheit. Sein Blick geht in die Zukunft.

Die Krankheit wird gar nicht genauer betrachtet. Die Vergangenheit ist abgeschlossen. Im Blick ist nur die Zukunft. Eine Zukunft, in der wir Blindgeborenen die Welt in neuem Licht sehen können. In der wir das Reich Gottes am eigenen Leib erfahren.

Ganz konkret - in dem wir heil werden. Mit neuem Blick für den Menschen.

In einer neuen Welt.

 

„Damit offenbar werde“ - damit die Zukunft beginnen kann. Die neue Welt - neu gemacht, nicht repariert.

Die neue Welt - an die Stelle der alten gesetzt. Christus tut, was nur Gott tun kann - er, der alle seine Werke geschaffen hat.

Er, der den Menschen aus Lehm geformt hat, macht ihn neu aus der Erde.

Er, der dem Menschen seinen Odem eingehaucht hat, schenkt ihm neues Sehen.

Er, der auf dem Thron sitzt, sprach: Siehe, ich mache alles neu.

 

An der konkreten Heilung wird deutlich, dass das Reich Gottes ein neues ist, das Alte hinter sich lässt. Aber nicht alle Blinden werden sehend, nicht alle Krankheiten werden geheilt. Was, wenn sie bleibt, die Blindheit? Wenn wir mit der Krankheit leben müssen?

Auch dann ist Jesus Christus das Licht der Welt - das uns den Blick auf sein Kreuz erleuchtet. An dem auch er nicht vorbeikommt. An dem er leidet und stirbt. Und an dem wir sehen, dass Gott unser Leiden kennt und uns durch unsere Dunkelheit hindurchträgt - damit offenbar werden seine Werke an uns. In einer neuen Zukunft.

 

Die noch einiges und Überraschendes für uns bereithält. So wie für die Jünger und die Pharisäer. Denn der Blindgeborene und Lichtgeheilte, der angebliche Sünder und  Schuldbeladene ist der einzige, der erkennt, was da passiert. Die Frommen aber verschließen ihre Augen weiterhin und werfen ihn aus ihrer Kirche hinaus. Zuviel Zukunft in neuem Licht können sie nicht riskieren.

 

Und wir? Wir gehen noch einmal zurück an den Anfang - an dem Jesus im Vorübergehen den Menschen sieht. Uns ansieht. Die wir blind vor Sehnsucht durch die Welt laufen; auf der Suche nach dem Sinn unseres Lebens durch Zen-Seminare und Yoga-Meditationen hetzen - und doch eigentlich nur am Straßenrand sitzen müssten. Still und leise - damit wir gefunden werden können.  Und Jesus geht vorüber und sieht.

 

Amen.