3. Sonntag nach Trinitatis - 28. Juni

Predigt zu Mt 11, 11-19 (Johannis 20)

 

In diesem Jahr ist alles anders.

Eigentlich wäre jetzt gerade die Fußball-EM 2020.

Dieses Jahr fällt sie aus - wegen Corona.

Eine Unterbrechung der Routine - Spieler und Fans gleichermaßen aus dem Gleichgewicht geworfen-  und aus dem Stadion gleich mit dazu.

 

Mich persönlich trifft das nicht so hart. Ich bin kein Fußballfan. Wenn der Ball bei uns zu Hause über den Bildschirm rollt, dann verkrieche ich mich - meistens auf das Sofa in einen Krimi. Um mich herum herrscht Ausnahmezustand: Vater und Sohn verkriechen sich auch - aber nicht aufs Sofa, sondern in den Fernseher hinein. Die Mannschaft auf dem Spielfeld vergrößert sich durch zwei weitere Spieler auf der heimischen Reservebank.

Experten unter sich.

 

Ich freue mich auf die Halbzeit - es wird ruhig im Wohnzimmer. Genug Zeit, um sich Nachschub an Knabbereien und Getränken zu holen. Erholungspause.

Auch den Spielern tut die Pause gut - Taktik wird überdacht, neue Spielzüge eingeplant.

Fünfzehn Minuten sind nicht viel. Aber es reicht, um durchzuatmen.

Den Blick zu schärfen für das Ziel. Um dann mit neuer Kraft weiterzuspielen.

 

Wir haben auch gerade Halbzeit. Sommersonnenwende. Mittsommer.

Die hellste Zeit des Jahres. Die längsten Tage und die kürzesten Nächte.

Der Johannistag liegt in dieser Zeit. Am 24. Juni. Halbzeit  - sechs Monate seit Weihnachten - sechs Monate bis Weihnachten.

"Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“ - so sagt es Johannes der Täufer von sich und Jesus. Vorschau seiner Vergänglichkeit am Scheitelpunkt seines Lebens.

Das Johannisfeuer, das wir am Freitagabend mit unseren Konfis und Jugendlichen hier gefeiert haben, markiert die Zeitenwende. Wir feiern den Tag und das Licht - und zeigen zugleich: ab jetzt wird unser Licht abnehmen - unsere Tage werden wieder dunkler. Aber sein Licht wird heller - um in der Weihnacht, unserem dunkelsten Tag auf seinem Höhepunkt zu leuchten. Unsere Johannisfeuer sind Abbild und Zeichen der Vorfreude dieses Leuchtens.

Vorschau der Vergänglichkeit unserer Nacht am Wendepunkt unserer Zeit.

Im Moment habe ich das Gefühl, auch wir stehen an einem Wendepunkt. Gesellschaftlich gesehen. Oder besser: an vielen Wendepunkten.

Das Leben normalisiert sich wieder - aber das Virus hat uns fest im Griff.

Der Ausnahmezustand ist aufgehoben - aber echte Freiheit ist noch immer eine Ausnahme.

Wir spielen den Ball als Gesellschaft - aber das Spiel wird aggressiver. Die Spielzüge widersprechen sich, Mitspieler werden gefoult, Teamplayer werden zu Ego-Shootern.

Zeit zum Innehalten.

Zeit zur Besinnung.

Zeit für eine Halbzeit.

 

Halbzeit ist es auch für Jesus. Die ersten Wege sind gegangen, die ersten Heilungen vollbracht. Sein Weg hat seine Richtung gefunden - hinauf nach Jerusalem, hinein in den Tod. Hinein in neues Leben.

Die Konflikte, die ihn auf seinem Weg begleiten, werden deutlich:

 

11 Wahrlich, ich sage euch: Unter allen, die von einer Frau geboren sind, ist keiner aufgetreten, der größer ist als Johannes der Täufer; der aber der Kleinste ist im Himmelreich, ist größer als er.

 12 Aber von den Tagen Johannes des Täufers bis heute leidet das Himmelreich Gewalt, und die Gewalt tun, reißen es an sich.

 13 Denn alle Propheten und das Gesetz haben geweissagt bis hin zu Johannes;

 14 und wenn ihr's annehmen wollt: Er ist Elia, der da kommen soll.

 15 Wer Ohren hat, der höre!

 

16 Mit wem soll ich aber dieses Geschlecht vergleichen? Es ist den Kindern gleich, die auf dem Markt sitzen und rufen den andern zu:

 17 Wir haben euch aufgespielt und ihr habt nicht getanzt; wir haben Klagelieder gesungen und ihr habt nicht geweint.

 18 Denn Johannes ist gekommen, aß nicht und trank nicht, und sie sagen: Er ist von einem Dämon besessen.

 19 Der Menschensohn ist gekommen, isst und trinkt, und sie sagen: Siehe, dieser Mensch ist ein Fresser und Weinsäufer, ein Freund der Zöllner und Sünder! Und doch ist die Weisheit gerechtfertigt worden aus ihren Werken.

 

Es klingt ein bisschen, als wären es unsere Konflikte.

 

Johannes eckt an - er verkündet das Unbequeme, das, was niemand hören will.

Auch unsere Nachrichten sind voll von Unbequemem, was keiner hören will: „Bleibt zu Hause. Verzichtet auf euren Urlaub. Schützt euch und andere mit dem Mundschutz. Haltet Abstand. Kommt euch nicht zu nahe. Verschiebt das Feiern auf nächstes Jahr. Macht das Beste aus der Situation. Weniger ist mehr.“ - Niemand will das hören. Wir möchten zurück zu unserer Freiheit. Unseren Feiern. Möchten unsere abgesagten Hochzeiten wieder haben, unsere Familienfeiern und Beerdigungen. Sehnen uns nach der verlorenen Leichtigkeit des vergangenen Sommers.

 

Da haben es die leichter, die uns verkünden, was wir hören wollen: „Aufhebung aller Beschränkungen. Die Gefahr ist gebannt. Holt euch euer Leben zurück. Glaubt nicht den Unkenrufen der Wüstenprediger. Wehrt euch gegen die, die euch austrocknen lassen. Esst und trinkt Wein statt Wasser - und habt Spaß. Lass all die Spielverderber in ihren Ecken sitzen.“

Fresser und Weinsäufer auch bei uns - aber ihre Botschaft ist ohne Weisheit, ihre Feier bringt uns nur Unheil.

 

Denn der Spaß hat Folgen - Die vermeintliche Freiheit ist zu Ende, bevor sie richtig angefangen hat. Aus den Festen werden Straßenkämpfe. Der Ball, den wir uns noch vor wenigen Wochen gemeinsam und friedlich zugespielt haben, wird zum Wurfgeschoss aus Pflastersteinen.

Die Leichtigkeit des Sommers liegt begraben unter den Splittern der eingeschlagenen Schaufenster.

Foul Play. Zeit für die Rote Karte.

Halbzeit.

 

Zeit zum Nachdenken. Und zur Besinnung. 

Zeit für die wirkliche guten Nachrichten. Wer Ohren hat, der höre. „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott.“

Zeit, das zu feiern, was uns Heil bringt in unser Leben. Das, was uns Vorschau ist für das Himmelreich.

Diese neue Zeit, das neue Leben beginnt jetzt, in diesem Moment. Mitten in der Trauer, mitten in der Ungewissheit brennen unsere Feuer der Vorfreude - auf kleinen Treffen, im kleinen Kreis. Mitten in unserer Hilflosigkeit wächst uns seine Stärke und Kraft zu - ich bin nicht mehr alleine.

Mitten in unserer Mutlosigkeit erleben wir Momente der Hoffnung und des Neuanfangs - der erste Besuch im Biergarten. Die erste Vereinssitzung. Das erste Mal wieder im Bürgerbus.

Mitten in der Krankheit sehen wir Heilung.

 

Es ist Halbzeit.

Und mitten in unseren Beschränkungen ist er bei uns, Jesus Christus, der Fresser und Weinsäufer.

Mit seiner Lebensfreude und seiner Heilsbotschaft.

Und lädt uns ein, neu ins Spiel einzusteigen.

 

Keine Torgarantie. Keine Siegesversprechen.

Aber Spiel mit neuer Strategie.

Und geänderter Blickrichtung.

 

Ein Spiel, das immer noch unter erschwerten Bedingungen läuft. Bei dem wir immer noch unseren Weg suchen, durch fremdes Gelände hindurchmüssen - auf der Suche nach dem Ziel.

Aber ein Spiel, das wir nicht mehr allein spielen müssen.

Denn unser größter Fan ist dabei - mitten unter uns.

Und er feuert uns an:

 

Tröstet, tröstet mein Volk!

Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden.

 

Wenn das keine Hymne ist!

 

Amen.