Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr - 15. November 2020

Predigt zu Lk 16, 1-8

Es ist Vormittag - Schulzeit. Dritte Klasse. Reli-Zeit.

Unser Thema: die Bibel. Das Buch an sich, mit seinem Aufbau, seinen Büchern. Der Weg der Entstehung.

Und dann natürlich: der Inhalt. Die Geschichten der Bibel.

Ich stelle eine Frage, die einer Pfarrerin würdig ist: welche Geschichte gefällt euch denn am Besten?

Die Antworten sind ganz unterschiedlich: Die Geschichte von David und Goliath, das ist spannend. Die Geschichte von Noah und der Arche, weil der Regenbogen so schön ist.

Die Geschichten von Jesus, weil er den Menschen hilft. Die Geschichte von Josef und seinen Brüdern, denn die geht gut aus.

Meistens sind es Geschichten mit einer klaren Botschaft - das Gute wird belohnt, das Böse bestraft.

Ich habe festgestellt, mir gefallen am Besten die Geschichten, die nicht so glattgebügelt sind. In denen von Menschen mit all ihren Ecken und Kanten die Rede ist - und davon gibt es eine ganz Menge, angefangen bei Adam und Eva - und die ziehen sich durch die ganze Bibel hindurch.

Um eine davon geht es heute - und die steht bei Lukas im 16. Kapitel.

So geht’s los:

Er sprach aber auch zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz. Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein. Da sprach der Verwalter bei sich selbst: Was soll ich tun?

Tja, was soll er tun, der Verwalter? Vielleicht das gleiche wie Jan Marsalek, Vorstandsmitglied und also seines Zeichens Geldverwalter beim Skandalunternehmen WireCard; er setzt sich ab - Taucht unter, versteckt sich, ist auf der Flucht. Und nimmt das Geld gleicht mit.

Weil Jesus aber ein Gleichnis erzählt und also jede Geschichte eine Moral braucht, steht am Ende die Verhaftung, Verurteilung - das Gefängnis. Und die Aufforderung an uns: Ihr sollt anders leben als dieser Verwalter.

Das wäre eine Möglichkeit.

Gibt es noch eine andere? Wir hören weiter:

Da sprach der Verwalter bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln. Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde.

Lösung Nummer zwei: Die Antwort trifft den Verwalter wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Er erkennt sein Unrecht. Er gibt seinen Fehler zu, entschuldigt sich bei seinem Chef. Und steht für das fehlende Geld gerade. Am Ende ist er geläutert, und dient uns als Beispiel für Buße und Umkehr. So sollt ihr handeln - wie dieser Verwalter.

Aber - ich muss Sie enttäuschen - auch das ist nicht die Geschichte, die Jesus erzählt. Denn die geht ganz anders:

Er sprach aber auch zu den Jüngern:

Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz. Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein.

Da sprach der Verwalter bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln. Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde.

Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und sprach zu dem ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig?

Der sprach: Hundert Fass Öl.

Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig. Danach sprach er zu dem zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig?

Der sprach: Hundert Sack Weizen.

Er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig.

Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte.

Denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts. Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.

Was für eine haarsträubende Geschichte - und sie stellt alles moralische Schwarz-Weiß-Denken auf den Kopf. Einteilung in Gut und Böse führt hier nicht weiter:

Der Verwalter verschleudert fremdes Eigentum.

Die Schuldner sind aber nicht die Betrogenen, sondern eifrige Mittäter mit einer enormen kriminellen Energie - sie ändern die Schuldscheine nach eigenem Gutdünken und wirken kräftig mit. In juristischem Neudeutsch nennt sich das Urkundenfälschung, Beihilfe zum bandenmäßigen Betrug, Unterschlagung - und sie kommen damit durch.

Jetzt aber wenigstens ein bisschen Mitgefühl für den Chef - immerhin ist er der Gelackmeierte! Oder doch nicht?

„Was muss ich da von dir hören?“ Das ist seine Handlungsgrundlage:

Er glaubt einem Gerücht - ohne Prüfung der Sachlage, ohne seinem Verwalter die Möglichkeit zu geben, seine Unschuld zu beweisen, sich zu rechtfertigen oder auch nur eine Erklärung abzugeben. Vor dem Arbeitsgericht täte er sich schwer damit, so eine Kündigung durchzusetzen - auch wenn sie sich im Nachhinein als zutreffend erweist.

Auch er also wahrlich keine Lichtgestalt.

Was also soll das mit dieser Geschichte, Jesus?

Soll das die Botschaft an unsere Zeit, an unsere Marsaleks und Winterkorns sein? Lügt und betrügt und bringt eure Schäfchen ins Trockene - alles nicht so schlimm? Lob statt Entrüstung und Verurteilung?

Da regt sich doch sehr schnell Widerspruch.

Was also soll das jetzt mit dieser Geschichte?

Ich glaube, der Schlüssel liegt in der Bezeichnung des Verwalters. Da steht nämlich im Text gar nicht: der ungerechte Verwalter - da steht: der Verwalter der Ungerechtigkeit.

Er macht von Anfang an nichts anderes, als Ungerechtigkeit zu verwalten. Erst auf seiner Arbeit, dann bei den Schuldnern.

Ungerechtigkeit ist quasi sein täglich Brot - denn das Leben ist voller Ungerechtigkeit.

Der eine ist reich, der andere verschuldet.

Der eine lebt nur aus hire and fire heraus - der andere steht immer am unteren Ende der Leiter, in ewiger Angst um das nackte Überleben.

Es geht gar nicht um die moralische Bewertung - sondern darum, dass unser Leben sich immer in Ungerechtigkeit abspielt. Denn wir sind Kinder der Welt, Kinder dieser Welt.

Und diese Welt ist Welt nach dem Verloren gegangenen. Nach dem Paradies. -

Welt nach der Entfremdung von Gott.

Und Welt auf dem Weg, diese Entfremdung zu überwinden.

Diese Welt stellt uns ständig vor unlösbare moralische Entscheidungen. Wer soll zuerst geimpft werden - die Alten und Risikopatienten? Oder die jungen Arbeitskräftigen?

Wer wird beatmet, wenn die Maschinen knapp werden? Die Schwächsten? Oder die, die für die Zukunft unserer Gesellschaft noch das meiste beitragen können?

Ist es richtig, einen 92-Jährigen zu verurteilen, weil er an der Krankheit seiner Frau, an der eigenen Schwäche, weil er an seiner Welt verzweifelt ist?

Unsere Welt ist nicht gerecht - sie ist voller Ungerechtigkeiten. Und alles, was wir tun können, ist der Versuch, damit klar zu kommen. Sie zu bereinigen, die schlimmsten Auswüchse zu beseitigen.

Und wir, die Verwalter haben auch keine Patentlösung.

Alles, was wir haben, ist unser ungerechter Mammon.

Wir verwalten unser alltägliches Unrecht, aber wir können uns nicht daraus befreien. Wir richten und urteilen und sprechen Recht - aber es ist unser Recht, unsere Gerechtigkeit.

Und dir reicht eben nur zur klugen Verwaltung - im besten Fall.

Die aber ist richtig - und sinnvoll und notwendig. Denn es ist eben keine Vertröstung auf die Ewigkeit, kein Zuwarten auf die göttliche Gerechtigkeit am Ende der Zeit. Sondern der Zuspruch für heute, für die Gegenwart:

Seid klug - und macht das Beste aus dieser Welt.

Verliert nicht den Mut, sondern trefft Entscheidungen - gegen Unrecht. Gegen Unterdrückung.

Versteckt euch nicht hinter euren Fehlern, eurer Unvollkommenheit.

Jammert nicht über die Bösen und haltet euch nicht selbst für gut, sondern haltet allen den Spiegel vor.

Habt keine Angst vor dem ungerechten Mammon.

- sondern ändert die Verhältnisse. Mit den Mitteln, die ihr habt - und soweit ihr könnt.

Die Geschichte vom ungerechten Verwalter ist eine Mutmachgeschichte - für ein Leben auf der Suche. Bei dem nichts Gutes verloren bleibt und alles Böse gewandelt werden kann - durch das Urteil Gottes über uns.

Und wenn wir am Ende dann offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi - mit allen Fehlern, allem Unrecht - mit all unseren Ecken und Kanten und Löchern - dann wird uns offenbar seine Gerechtigkeit - die uns genügen lässt als Kinder dieser Welt - und ihre klugen Verwalter.

Amen.