14. Sonntag nach Trinitatis - 13. September 2020

Predigt zu Lk 19, 1-10

Ene, mene, mas,
was ich zuvor besaß,
o malla mira moren,
das habe ich verloren.
E mickte muckte meckt,
ein Kobold hat‘s versteckt.

Wie es weitergeht, weiß ich leider nicht mehr - den Text habe ich verloren.

Als Kind habe ich diesen Abzählvers öfter mal beim Suchen vor mich hin gesagt - angeblich sollte er helfen, Verlorenes wiederzufinden. Ab und zu hat es sogar funktioniert - vermutlich, weil ich lange genug vor mich hin gesprochen und dabei eben gründlich genug gesucht habe. Als meine Tochter aber mit vier Jahren ihren kleinen Kuschelstoffhund verloren hat, da hat nichts mehr geholfen - er blieb verschwunden. Und der Kummer war heftig und herzzerreißend, die Lücke des Verschwindens noch lange danach zu spüren.

Leider verliere ich auch heute noch ständig irgendwelche Sachen - oder besser: ich verlege sie. Meistens finden sie sich dann irgendwie von selbst wieder ein.

Manchmal muss allerdings der Schlüssel oder Geldbeutel dran glauben - und dann hilft intensives Nachdenken mindestens genauso sehr wie gründliches Suchen bei Wiederfinden.

Allerdings bin ich damit wohl nicht die Einzige - zumindest nicht, wenn ich mir die Rubrik „Gefunden“ im Mitteilungsblatt so ansehe. Immerhin ist auch hier nichts endgültig verloren - sondern kann jederzeit im Fundbüro abgeholt werden.

Und je nachdem, wie wertvoll eine Sache ist oder wie sehr sie mir am Herzen liegt, umso größer ist die Freude und die Erleichterung, wenn sie wieder gefunden ist. Vor allem, wenn ich schon gar nicht mehr daran geglaubt habe.

Um Verlorenes und Gefundenes geht es auch heute in unserem Predigttext:

Text lesen Lk 19, 1-10

Ein bisschen liest sich das wie der Fortsetzungsgeschichte zu der Lesung vorhin: Ich danke dir, dass ich nicht so bin wie jener.

Ich danke dir, dass ich kein verlorenes Leben habe. Dass ich meine Existenz nicht verloren habe. Dass ich meinen Lebensmut, meine Freunde nicht verloren habe.

Ich danke dir, dass ich meinen Sinn für Gerechtigkeit nicht verloren habe.

Vermutlich ein Gedanke, der auch der Menge derer, die Jesus nachfolgen, nicht fremd war: Gott sei Dank, dass wir nicht so sind wie jener - und der da auf dem Baum hat bei uns nichts verloren.

 Zumindest Zachäus, eben jener auf dem Baum, hat sich das gedacht: Ich habe bei denen da unten nichts zu suchen - denn ich habe die Gemeinschaft verloren.

Ich bin klein. Ein Sünder, der seine menschliche Größe verloren hat.

Zu klein, um dazu zu gehören.

Alle beide aber täuschen sich.

Und die Täuschung fliegt auf in dem Moment, in dem sie Jesus begegnen. Denn diese Begegnung wirft alles vermeintliche Wissen, alles, was ich herausgefunden habe über meinen eigenen Platz in der Welt und die Ordnung unserer Gesellschaft, über den Haufen.

Vorgefundene Strukturen brechen auf - und die Suche bestimmt das Leben. Die Suche nach dem Sünder, nicht die Freude über die Menge der scheinbar Gerechten.

„Steig herab“ - das einzige Wort, das Jesus spricht.

Steig herab - und komm zu uns. Bleib nicht allein für dich. Bleib nicht gefangen in deinem alten Verhalten, in deiner Sünde. Geh nicht verloren in deiner Einsamkeit. Sondern lass dich wiederfinden als Teil der Gemeinschaft.

Das Wort an den Sünder - und die Menge wird sprachlos.

Doch dazu ist Jesus gekommen - um die Kleinen groß zu machen und Verlorenes wiederzufinden.

Und das ist nicht einfach - nicht für die Menge:

Wir dachten, Jesus wäre einer von uns - aber er geht lieber zu denen, die wir verloren gegeben haben. Wir haben einen Weg gefunden, die Sünde zu benennen - aber dabei den Sünder aus dem Blick verloren.

Es ist aber auch nicht leicht für Zachäus.

Er hat zu einem Bekenntnis als Sünder gefunden - aber darunter den Blick auf seine Sünden verloren. Gott sei mir Sünder gnädig - aber ich will nicht lassen von meinen Sünden. Will nicht zurück stecken, wo mir mein Verhalten Vorteile bringt. Will nicht an mir arbeiten, sondern billig um deine Gnade bitten.

Traue mich nicht, zu dir zu kommen - sondern lass einen Blick auf dich genügen.

Aber da hat er sich getäuscht - so funktioniert es nicht.

Denn Jesus hat ihn gesehen - und sieht ihn an. Er sucht nicht wahllos mit einem Auszählvers auf den Lippen irgendwo - sondern er sieht ihn an. Zachäus, den Zöllner. Den Sünder. Den Lügner und Betrüger. Ganz bewusst.

Setzt ihn seinem Blick aus, der ihn durchschaut. Der alles offenlegt - keine Sünde übersieht.

Und ruft ihn trotzdem.

Denn trotz allem, was er in ihm gefunden hat, gibt er den Sünder, den Kleingeist, den Übeltäter nicht verloren.

Und schenkt ihm so einen neuen Blick auf sich selbst. Eine neue Perspektive für sein Handeln.

„Steig herab“ - Du hast deinen Weg verloren. Aber komm zu mir und finde ihn wieder.

„Steig herab“ - Du hast deinen Blick auf Gott verloren. Aber er hat dich wiedergefunden.

„Steig herab“ - Du hast deinen Blick auf den Menschen als Gottes Ebenbild verloren. Aber in mir findest du ihn wieder.

Und Zachäus steigt herab. Seine Erleichterung, seine Freude übermannt ihn geradezu. Und verleitet ihn zur Überschwänglichkeit des frisch Geretteten: Die Hälfte für die Armen, und vierfacher Ersatz für das Gestohlene.

Er begnügt sich nicht mehr mit einem Blick aus sicherer Entfernung - sondern er lässt sich mit hineinnehmen in die Suche, lebt aus der Freude um das Wiedergefundene.

Die Menge steht daneben: Das Murren verstummt, wir stehen sprachlos vor solcher Veränderung. Und tragen im tiefsten Herzen das Sehnen, uns selbst als verloren zu erkennen, damit wir den Ruf hören und gerettet werden.

Amen