Karfreitag, 10. April

Predigt zu Joh 19, 16-30 (Karfreitag 20)

 

Da überantwortete er ihnen Jesus, dass er gekreuzigt würde.

Sie nahmen ihn aber, und er trug selber das Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha. Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte.

Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der Juden König. Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache. Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreibe nicht: Der Juden König, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der Juden König. Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.

Die Soldaten aber, da sie Jesus gekreuzigt hatten, nahmen seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch den Rock. Der aber war ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück. Da sprachen sie untereinander: Lasst uns den nicht zerteilen, sondern darum losen, wem er gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Psalm 22,19): »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Das taten die Soldaten. Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria Magdalena.

Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.

Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet. Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysop und hielten ihm den an den Mund. Da nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er:

Es ist vollbracht.

Und neigte das Haupt und verschied.

 

https://www.youtube.com/watch?v=dd__Ak6OONk

 

Eigentlich reicht das als Predigt.

Die Katastrophe ist eingetreten. Der Gründonnerstag, die letzte Feier Jesus mit seinen Jüngern, das letzte gemeinsame Essen - längst vergessen. Geschichte.

Es bleiben Einsamkeit und Tod.

Die Freunde - weg. Verschwunden im Dunkel der Erinnerung.

Halten Abstand. Gehen auf Distanz.

Zurück bleibt die Familie. Die Engsten. Die Liebsten.

Sie sind da. Fürchten die Nähe nicht. Suchen sie sogar. Wollen beistehen im Leiden.

Mehr können sie nicht tun.

Mehr kann Gott nicht erwarten.

Mehr kann Gott nicht geben.

Also was soll er uns - dieser Gott, der das Leiden nicht überspringt. Sondern selbst hindurchmuss. Der im Leiden seine höchste Vollendung erfährt?

Was soll uns der ganze Karfreitag?

Überspringen wir ihn doch - und landen gleich mitten an Ostern. Mitten im Leben.

 

Manch einer wünscht sich das in dieser Zeit. Überspringen wir die Distanz, die Einsamkeit.

Halten wir Abstand zum Tod.

Lassen all das, was uns innerlich sterben lässt, hinter uns. Gehen über - nicht zur Tagesordnung. Aber zu neuer Ordnung. Zu neuem Leben.

Nach der Katastrophe.

Als ob nichts gewesen wäre.

 

Aber es ist ja. Noch nicht gewesen. Sondern immer noch.

Wir stehen mitten drin - im Leid. Im Tod. In der Angst und dem Schmerz.

Mitten in der Ungewissheit.

Halten wir Abstand - und stehen uns doch einander bei.

Das ist alles, was uns bleibt.

Ist das genug?

 

Heute stehen wir unter dem Kreuz und weinen unsere Tränen. Denn Karfreitag ist Tränentag - ein Tag zum Weinen - der eine Tag zum Weinen.

Also hat Gott die Welt geliebt, dass er ihr seinen Sohn geschickt hat - als Zeichen dieser Liebe ist Jesus geboren, hat er gelebt. Jesus hat Weinende getröstet, Kranke geheilt und Gottes Abstand zu Menschen überwunden. Den Abstand zwischen den Menschen überwunden. Hat uns miteinander und mit Gott ins Gespräch gebracht. Grenzen geöffnet.

Und jetzt hängt er am Kreuz. Kein Mensch hilft ihm, auch Gott nicht.

Und dann ist er tot.

Es gibt kein Wunder. Es ist ein Tag der Dunkelheit. Ein Tag der letzten Worte.

Ein Tag zum Weinen.

Denn alle Tränen haben nichts bewirkt. Das ganze Beistehen hat keine Wunder vollbracht. Die Toten unserer Welt stapeln sich. Trostlos auf überfüllten Krankenhausgängen. Im Stich gelassen vor unseren abgeriegelten Grenzen. Geopfert auf dem Altar unserer Eitelkeiten.

Der Tod ist allgegenwärtig - physisch und seelisch.

Und wir haben ihm nichts entgegenzusetzen.

 

Heute stehen wir unter dem Kreuz - und können uns nicht retten.

Sondern nur aushalten, was geschieht.

Und auf eine Wahrheit hoffen, die größer ist als der Tod:

Dass Gott uns nicht hängen lässt - sondern bleibt.

Beistehen im Schmerz - darauf kommt es an.

Dasein im Leid - nicht flüchten, sondern aushalten. Sich nicht davonstehlen und so tun, als wäre nichts. Sondern miteinander durchstehen. Bis zum bitteren Ende.

So ist Gott. Er läuft nicht weg. Er bleibt. Er flüchtet sich nicht in überhebliche Göttlichkeit und Allwissenheit, sondern wird Mensch. Mit all unseren Ungewissheiten. Unseren Ängsten.

Unserem Sterben. Unserem Tod.

 

So ist unsere Hoffnung - so kann unsere Rettung sein:

Dass diese Wahrheit unseren Karfreitag aushält.

Und ihn übersteht.

 

Amen.