4. Sonntag nach Trinitatis - 05. Juli

Predigt zu Röm 12, 17-21 – 05.07.2020

 

 

„Der brauch mal so richtig eine aufs Maul - dass er mal begreift, was er da eigentlich macht.“

So gehört auf dem Parkplatz vom REWE - ein Gespräch zwischen zwei Männern. Eigentlich ein Monolog - einer hat seiner Wut rausgelassen, der andere zugehört.

Es geht um Polizeikontrollen, um Corona-Parties und um einen dritten Mann. Namenlos. Aber wohl einer, der sich von Corona nichts verbieten lassen will. Der trotzdem an seiner geplanten Party festhält. Der auf Demonstrationen geht - trotz oder vielleicht gerade wegen Corona.

Und es geht um das Unverständnis, das sein Handeln auslöst. Dass er die Ansteckungsgefahr missachtet. Dass er sich rücksichtslos verhält. Dass es ihm ganz recht geschieht, wenn die Polizei ihn mal so richtig bluten lässt - mit Bußgeldzahlungen. Und dass er mal so richtig eins aufs Maul braucht - um ihn wieder in die Reihe zurückzustellen. Ihm das Ausscheren madig zu machen.

 

Zwei Stunden später lese ich im Römerbrief, 12. Kapitel, unseren Predigttext für heute:

 

17 Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.

 18 Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.

 19 Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5.Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«

 20 Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, so gib ihm zu essen; dürstet ihn, so gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« (Sprüche 25,21-22).

 21 Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

 

Letzte Woche hatte eine Familie genau diesen letzten Vers

- Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem -

ihrem Sohn als Taufspruch ausgesucht. Als Leitvers für sein ganzes Leben.

Am Anfang unseres Lebens ist es ja auch einfach, zu urteilen, was gut und schlecht ist. Jedes Kind lernt schnell, dass es keine gute Idee ist, einem anderen Kind seine Schaufel auf den Kopf zu hauen oder seine große Schwester an den Haaren zu ziehen.

Was gut und böse ist, bestimmen für uns die Eltern, die Erwachsenen. Die Regeln, die sie uns vorgeben. Das macht man nicht - das ist böse. Also lass es - sei ein gutes Kind.

 

Das ist einfach. Noch.

Aber je älter und selbstständiger wir werden, desto schwieriger ist das mit der Unterscheidung.

Reicht es schon, einfach die Regeln einzuhalten? Aber sind alle Regeln gut, nur weil es Regeln sind? Und wer hat den Frieden gebrochen in dieser Situation? Der kontaktfreudige Demonstrant, der seinen Widerstand mit Feiern besiegelt? Oder sein Wutnachbar, dem die Regeln ein Bedürfnis sind? Der aber offensichtlich bereit ist, selbst ein paar Regeln zu brechen - um die Einhaltung von anderen Regeln zu gewährleisten?

 

Das Böse ist überall zu finden - und ich kann ihm in jeder Lebenssituation begegnen. Wie in diesem Lied der Ersten Allgemeinen Verunsicherung - vielleicht kennen Sie es ja - noch.

 

Banküberfall (Refrain)

 

Das Ganze ist heitere Ironie und ganz sicher geht  es im Leben weder heiter noch liebenswert ironisch zu, wenn wir auf Böses treffen. Aber die Grundwahrheit des Liedes stimmt  - auch wenn sie als banale Wiederholung daher kommt: Das Böse ist immer und überall. Manchmal ist es einfach zu erkennen - denn es kommt ganz offen daher, bringt Gewalt und Terror mit sich, zerbricht Leben, zerstört Existenzen.

Manchmal aber ist das Böse vielleicht gerade dort, wo die Regeln äußerlich überhaupt nicht gebrochen werden. Wo äußerliche Gewalt überhaupt nicht zum Tragen kommt. Dann ist es schon schwieriger, überhaupt vom Bösen zu reden. Es sind die unterschiedlichen Facetten, die es uns schwer machen, damit umzugehen:

 

Am Freitag war ein Artikel in der Zeitung - zwei Erfahrungsberichte über das Leben in Deutschland, das Leben in Aschaffenburg.

Erzählt von diesen beiden hier (Artikel hochhalten) - von Parfait Ngot und Sonèse Glas.

Hören Sie selbst.

 

Das Böse ist immer und überall - in aggressiven körperlichen Übergriffen genauso wie in vornehmlich wohlmeinenden, tatsächlich aber herabwürdigenden Begegnungen. Beides beschädigt den Menschen, beschädigt seine Seele - die des Aggressors und die von dem, der beschämt, herabgesetzt, angegriffen wird.

 

Zwei Lebensberichte, die uns den Spiegel vorhalten. Und vielleicht ist es genau das, was wir brauchen, um uns nicht vom Bösen überwinden zu lassen:

Dass wir uns selbst in diesen Berichten wiederfinden. Selbsterkenntnis, wo wir selbst anderen zum Schaden werden - bewusst oder unbewusst.

Dass wir uns nicht zum Richter über andere aufspielen, sondern sie und uns daran erinnern, dass wir alle zu einer Gemeinschaft gehören.

Und dass wir uns nicht selbst fesseln mit kleinlichen Rachegelüsten.

Auch wenn es noch so verführerisch ist.

 

Paulus kennt das. Er weiß, wovon er spricht. Am eigenen Leib hatte er die Schläge schon erfahren. Er saß im Gefängnis, wurde aus der Stadt geworfen und verfolgt. Er war Opfer von Intrigen und übler Nachrede.

Paulus weiß um die Übermacht des Bösen. Er weiß, dass das Böse oft kein Ende zu nehmen scheint. Er kennt den Schmerz und die Verletzungen der Opfer. Und er weiß, wie schwer es fällt, solche Verletzungen zu vergeben.

Er weiß, dass unsere Kraft allein dazu oft nicht ausreicht - so weit es an euch liegt, haltet Frieden mit allen Menschen.

 

Aber wenn ihr das nicht mehr könnt - dann erinnert euch an die Kraft Gottes. Denn sein ist die Rache. Und es ist keine blindwütige und willkürliche Rache, zu der wir fähig sind. Sondern es ist sein Wille, unserer Gewalt und unserem Tun nichts als seine Liebe entgegenzusetzen.

 

Das letzte Urteil über einen Menschen steht Gott zu - nicht mir. Das zu akzeptieren, fällt manchmal schwer.

Jeder von uns trägt Unrechtserfahrungen in sich - in der Kindheit, dem Elternhaus erlitten oder später, in der Schule, der Beziehung. Dort, wo eigentlich Liebe und Freundschaft den Ton angeben sollten.

Und wie leicht kann ich nachvollziehen, wenn jemand aus tiefstem Schmerz und Verzweiflung seiner Wut freie Bahn lässt und Rache übt an einem Täter, der unsagbares Leid über ihn gebracht hat.

Aber wo kämen wir dann hin, wenn das unser Handeln bestimmte?

Wo kämen wir hin, wenn Regierungen nicht beharrlich und trotz aller Rückschläge friedliche Lösungswege aus gewalttätigen Konflikten suchten?

 

Wo kämen wir hin, wenn wir uns immer wieder von pöbelnden Dummschwätzern provozieren lassen würden?

Wo kämen wir hin, wenn wir immer gleich zum Gegenschlag ausholen würden?

 

Wo kämen wir Christen hin, wenn wir vor dem Leid und der Gewalt resigniert in die Knie gingen - anstatt das Unrecht zu benennen und aufrecht dagegen zu protestieren?

 

Wo kämen wir hin, wenn wir nicht immer wieder aufeinander zugingen - die Schlichtung suchten anstelle des Streits? Uns die Hand reichen anstatt die Fäuste sprechen zu lassen?

In welchem Schweigen müssten wir leben, wenn wir nicht immer wieder das Gespräch miteinander suchten?

 

Wenn es möglich ist - soweit es an euch liegt - habt mit allen Menschen Frieden.

Es ist nicht leicht - aber es ist möglich.

Friedlosigkeit, Gewalt und Hass - sie werden uns immer begleiten. Es wird uns nicht gelingen, die Welt zu ent-hassen. Aber soviel es an uns liegt - soweit es uns möglich ist - soll das Böse nie das letzte Wort haben.

Soweit es uns möglich ist - setzen wir auf die Liebe.

 

Amen.