18. Sonntag nach Trinitatis - 11. Oktober 2020

Predigt zu 5 Mose 30, 11-14

 

Mittwoch morgen beim Frühstück - der Gesprächsstoff, wie so oft in den letzten Monaten - die Coronaregeln. Auslöser: ein Artikel über das Schulleben unter Coronabedingungen.

Heftige Diskussion über Sinn und Sinnfreiheit bestimmter Gebote - wie z.B. Mundschutzpflicht im Pausenhof, aber maskenfreier Unterricht in nächster Nähe.

Einig waren wir uns nur darüber, dass wir uns nicht aussuchen können, an welche Gebote wir uns halten oder nicht. Verpflichtend sind sie alle - auch wenn sich der Sinn nicht bei allen gleichermaßen erschließt.

Und man oft genug den Eindruck hat, die meisten davon seien am grünen Tisch entstanden - weit ab von jeglicher Realität. Und in der Praxis nicht wirklich umsetzbar.

Aber - wir kommen nicht drum rum - sie gelten, sie sollen Leben schützen - also halten wir uns daran. Auch wenn wir nicht mit dem Herzen dabei sind.

Vielleicht geht es uns dabei wie dem reichen Jüngling. Vielleicht habe ich das gleiche Problem wie er:

Der hält nämlich alle Gebote - weil er das ewige Leben haben möchte. Und am Ende scheitert er doch. Aber warum?

Die Buchstaben des Gesetzes hält er ein - keine Frage. Die 10 Gebote sind bei ihm in guten Händen. Jesus zählt sie beispielhaft auf: nicht töten, nicht ehebrechen, Vater und Mutter ehren, niemanden berauben, niemanden falsch beschuldigen oder verleumden.

Alles kein Problem - der Jüngling ist sozial verträglich, verhält sich regelkonform.

Doch am Ende reicht es nicht - vielleicht, weil er nicht mit dem Herzen dabei ist. Vielleicht, weil er nur die Buchstaben des Gesetzes befolgt, aber nichts von ihrem Geist begriffen hat?

Die Gebote, die Jesus vermeintlich willkürlich und beispielhaft aufzählt, haben eines gemeinsam: Sie betreffen das Verhältnis des Jünglings zu anderen Menschen. Seine sozialen Beziehungen in Familie und Gesellschaft.

Da ist nach außen hin alles im Lot.

Aber vielleicht fehlt im das letzte kleine i-Tüpfelchen - das, was ihm erlauben würde, den letzten Abstand fallen zu lassen, die letztgültige Nähe zu suchen. Vielleicht ist er nicht mit dem Herzen dabei. Vielleicht ist er nicht von ganzem Herzen von der Sinnhaftigkeit der Gebote überzeugt - sondern hält sich nur daran, weil er sich etwas davon verspricht. Weil er etwas dadurch erreichen will. Nämlich das ewige Leben. Besser sein will, erfolgreicher als die anderen. Sieger sein will im Wettbewerb der Gesetzestreue.

Vielleicht ist aber etwas anderes nötig - nämlich die Einhaltung der Gebote nicht um meiner selbst willen - sondern um des anderen willen. Um der körperlichen Unversehrtheit meines Nächsten willen. Um des Wohles meiner Eltern willen. Um der Integrität meines Nachbarn willen.

Dann sind nämlich auch gar nicht die Gesetze das Problem, nicht die Allgemeinverfügungen und nicht die Abstandsregeln. Sondern nur und vor allem meine Einstellung dazu. Mein Verständnis dafür, dass durch Gesetze in erster Linie nicht ich bestraft oder belohnt werde - sondern andere von mir geschützt werden. So wie ich dadurch geschützt bin, dass sich andere an die Gebote halten.

So verstehe ich auch den Predigttext von heute - im 5 Mose 30:

 

Denn das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern. Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer will für uns in den Himmel fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun?

Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun?

Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust.

Das sind gute und schlechte Nachrichten.

Schlechte - weil es keine Ausreden gibt, sich nicht an die Gebote zu halten. Sie sind nicht himmelweit von meiner Lebenswelt entfernt, sondern sprechen direkt hinein. Ich kann sie nachlesen, überall hören und verstehen. Nichts hindert mich daran, mich auch daran zu halten.

Und gute Nachrichten - weil ich sie nirgends erst zusammensuchen muss, die Gesetze, die für mein Leben lebensförderlich sind. Gerade weil sie nicht nur mein Leben schützen, sondern das aller anderen Menschen auch. Ich muss sie nicht mühsam herbeiholen, denn ich habe sie schon. Sie sind mir ins Herz gelegt.

Im Herzen - da, wo alles stattfindet, was mich ausmacht.

Alle meine Gefühle sind dort zu Hause - Vorlieben und Abneigungen, alle meine Triebe und Leidenschaften. Mein Wille und mein Gewissen.

Im Herzen treffe ich Entscheidungen, schmiede ich Pläne.

Aus meinem Herzen kommt Gutes und Böses - es kann ängstlich umherflattern und ich kann es mir mutig fassen.

Mein Herz kann sich verstocken und es kann sich öffnen und zuwenden.

Mein Herz - das bin ich.

Dein Herz - das bist du.

Das Gebot Gottes ist nahe unserem Herzen.

Da zieht keine Ausrede mehr. Kein Ob und Wenn, kein Zwar und Aber.

Kein: Was soll ich tun? - Soll ich das wirklich tun? - Soll ich das wirklich tun? - Soll ich das wirklich tun?

Da gibt es auf all diese vermeintlichen Fragen und tatsächlichen Ausflüchte nur eine Antwort - und die ist mir ins Herz gelegt.

Da höre ich nämlich den einen Satz, der alle unsere Gebote, alle unsere Gesetze in ihrem Buchstaben und Geist zusammenfasst:

Du sollst den Herrn deinen Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele,

von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft“ (5. Mose 6,4-5).

Das andre ist dies:

Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (3. Mose 19,18).

Es ist kein anderes Gebot größer als diese

Gottesliebe und Menschenlieben gehören zusammen.

Für mich heißt das: Gesetzestreue nicht um meiner Selbstgerechtigkeit willen. Nicht damit ich besonders gut dastehe. Nicht um mich zu preisen.

Sondern um meines Nächsten willen. Um die Eltern meiner Kollegen willen. Um die Kinder meines Nachbarn willen.

Denn meine Nächsten hat Gott mir ans Herz gelegt - dass ich mich ihnen zuwende - und ihr Wohl in meinem Herzen trage - um seinetwillen.

Amen.