2. Sonntag im Advent - 6. Dezember 2020

Predigt zu Jak 5, 7-11

Geduld, Geduld!

Immer nur Geduld!

Wenn ich das schon höre!

Immer soll ich warten - bis am Ende dann doch nichts passiert!

Jetzt, hier und heute!

Nicht irgendwann!

Kommt Ihnen das bekannt vor? Dann geht es Ihnen vermutlich wie mir und Sie sind ein sehr ungeduldiger Mensch.

Der gerne voranprescht - um dann doch wieder ausgebremst zu werden; Und dabei bringt Ungeduld meistens gar nichts - denn das Warten hängt ja gar nicht von mir ab, sondern von Sachen, die ich selbst überhaupt nicht beeinflussen kann.

Von den Umständen; von bürokratischen Abläufen, die aus irgendwelchen Gründen zwingend eingehalten werden müssen; vom Hund, der sich entweder dumm stellt oder auf stur schaltet, anstatt einfach mal zu tun, was ich seit Monaten mit ihm übe. Also von all den vielen kleinen Hindernissen, die das Leben so anstrengend machen können.

Und dabei sind doch eigentlich wir Eltern programmiert auf Geduld - sonst ginge unser Blutdruck ja permanent in schwindelerregenden Höhen spazieren. Und das fängt ja nicht erst mit der Pubertät der Kinder an. Das geht ja schon in der Schwangerschaft los:

Erst sieht man noch gar nix - dann wächst endlich der Bauch, die ersten Bewegungen sind zu spüren. Und dann ist es irgendwann  genug mit dem Dasein als Walroß und das Kind sollte jetzt endlich mal raus - aber es lässt auf sich warten.

Denn Kinder haben ihren eigenen Kopf - schon im Mutterleib. Und kommen einfach erst dann, wenn es Zeit dafür - nicht wenn ich es mir in den Kopf setze.

Doch beim ersten Blick auf das Kind weiß ich: es hat sich gelohnt, die Zeit abzuwarten; den Schmerz auszuhalten und die Ungeduld zu bezähmen. Es ist das größte Geschenk, das ich bekommen habe. Und je länger ich es ansehe, desto besser lerne ich es kennen. Desto vertrauter wird es mir - und desto inniger bin ich ihm verbunden. Und all die Ungeduld hat große Frucht getragen.

Vielleicht geht es Maria auf unserem Bild hier genauso - und sie ist einfach ungeduldig!

Und zieht deshalb so eine Flappe!

Was für ein Gesicht! Und das offensichtlich doch nach der Geburt. Das Kind ist endlich da, sie hält es ja im Arm. Und doch ist sie so unzufrieden!

Es ist ein merkwürdiges, weil ungewohntes Bild: Das Motiv ist vertraut - aber doch fremd. Denn das Kind, der Heiland und Lichtbringer für die Welt - ist selbst im Dunkeln. Sein Strahlenkranz, sein Gesicht verborgen hinter einem schwarzen Schleier. Maria dagegen ist im Licht - ihr Gesicht dabei besonders gut sichtbar.

Ich finde dieses Bild von Maria sehr erholsam. Endlich mal keine Madonna, an derem holdseligem Lächeln alle Anfragen sofort abprellen, alles Jammern zurückweichen muss. Sondern eine Frau, die ihre Gefühle offen nach außen trägt, ihre Unzufriedenheit zeigt; die nicht verbirgt, dass sie unglücklich ist.

Doch was ist das für eine Maria, die sich so furchtbar ungöttlich, so schrecklich menschlich zeigt?

Wollte ich dem Bild prophetische Absichten unterstellen, dann würde ich besonders auf die Augen von Maria schauen. Probieren wir das mal - halten Sie mal die untere Gesichtshälfte zu, so dass nur die Augen zu sehen sind.

Ich finde, es sind traurige Augen - Augen, die vielleicht schon die Zukunft ahnen. Die voraussehen, was für ein Schicksal ihrem Sohn beschert ist. Und die doch nichts daran ändern können - denn das Kind wird erwachsen und geht seinen eigenen Weg. Geht Gottes Weg - und das, obwohl doch sie ihm das Leben geschenkt hat. Obwohl sie ihn so freudig-dringend erwartet hat. Obwohl die Erinnerung an seine Geburt sich für immer in ihr Herz eingebrannt hat.

Es sind Augen, die einst erwartungsvoll schauten - und jetzt aufgehört haben, zu warten. Weil die Hoffnung aus dem Blick geraten ist. Und nur noch das Leid sehen und hinter all der Dunkelheit des Lebens das Gesicht des Kindes nicht mehr sehen können.

Es sind Augen, für die das Kind selbst im Dunkel verborgen bleibt.

Es sind Augen der Menschen, denen ihre eigene Dunkelheit den Blick verstellt - die aufgehört haben, zu warten und die das Licht dessen, der kommt, nicht mehr wahrnehmen können.

Es sind Augen der Hoffnungslosen, der Verzweifelten.

Daran ändert auch der Mund nichts - betrachten wir den doch mal. Halten Sie ihr mal die Augen zu und schauen Sie auf den Mund.

Die Mundwinkel unzufrieden nach unten gezogen. Sie sieht auf ihr Kind - auf den Erlöser dieser Welt. Und sie ist unzufrieden.

Vielleicht mit ihm. Vielleicht mit dem, was er bis jetzt vollbracht hat. Unzufrieden, weil all das Warten noch immer nichts gebracht hat. Weil die Welt noch ist, wie wir sie kennen: wunderbar und bunt und reich - und dabei doch unvollkommen und schadhaft.

Die Ungeduld bricht sich Bahn - und wird zur unzufriedenen Flappe.

Aus diesem Mund kommt kein Lobpreis, kein Magnificat und kein liebevolles Tändeln. Da ist nur noch Raum für gepresstes Zischen und nörgelndes Klagen.

Wieso tust du nichts? Wieso greifst du nicht ein? Wieso lässt du zu, dass wir immer noch warten müssen - obwohl du doch schon längst gekommen bist?

Es sind die Fragen der Ungeduldigen, die Fragen der Verbitterten.

Diese Maria ist nicht länger die Gottesmutter - sie ist die Menschentochter, die unsere Anfragen, unsere Klagen und unseren Unglauben auf sich nimmt und zum Ausdruck bringt.

Kein Wunder:

Das Bild stammt aus dem 14. Jahrhundert - eine Zeit großer Krisen, enormer Umwälzungen:

Drastische Klimaveränderungen mit einer kleinen Eiszeit bedrohen die Lebensgrundlage der Menschen. Hochwasserkatastrophen führen zu massiven Ernteverlusten. Die Menschheit ist bedroht durch die schlimmste Pandemie, die sie bisher erlebt haben - die Beulenpest durchzieht das Land und tötet ein Drittel der Bevölkerung. Ihr auf dem Fuße folgt die damals schlimmste Banken- und Finanzkrise der Geschichte.

Marias Augen sehen unsere Dunkelheit, ihr Mund spricht unsere Verzweiflung.

Und doch steht sie noch immer da. Sie hält ihren Sohn auf dem Arm - und sieht ihn an.

Sie wendet den Blick nicht ab. Sie wendet sich nicht ab.

Sie lässt ihn nicht hinter sich zurück - sondern hält seinen Blick fest.

Und zwingt ihn so, ihre Traurigkeit, ihre Verzweiflung, ihre Unzufriedenheit und Ungeduld zu ertragen.

Sie konfrontiert ihn mit dem Leid ihrer Welt - unserer Welt.

Und je länger ich das Bild betrachte - je länger ich hinter dem dunklen Schleier den verborgenen Erlöser suche - desto heller ist er zu sehen. Desto deutlicher wird er sichtbar.

Nicht bis zum Ende. Nicht in jeder Einzelheit.

Aber dem Grunde nach.

Hätte ich mich abgewendet, wäre das Kind im Dunkeln geblieben.

Weil ich aber dageblieben bin - weil ich Leid und Schmerz ausgehalten habe, meine Ungeduld bezähmt und abgewartet habe - deshalb kann ich einen hellen Moment lang erahnen, wer sich hinter dem Dunkel verbirgt.

Wann werden meine Hände stark und meine Knie fest? Wann kommst du und bleibst, uns endlich zu helfen? Wann werden Schmerz und Seufzen entfliehen?

Die Fragen bleiben -

doch trotz all meiner Fragen weiß ich: es hat sich gelohnt, die Zeit abzuwarten; den Schmerz auszuhalten und die Ungeduld zu bezähmen.

Denn dieses verborgene Kind wird offenbar werden. Wenn wir bleiben. Wenn wir es festhalten und den Blick nicht von ihm abwenden. Dann wird das Dunkel heller und das Licht sichtbar.

Nicht vollständig. Nicht in jeder Einzelheit.

Aber mit jeder Frage ein bisschen mehr. Mit jedem Blick ein bisschen heller.

Es ist das größte Geschenk, das wir bekommen können. Und je länger wir es ansehen, desto besser lernen wir es kennen. Desto vertrauter wird es uns - und desto inniger sind wir ihm verbunden.

Und am Ende wird all unsere Ungeduld große Frucht tragen.

Amen.