Freitag, 3. April 2020

„Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt…“ -

Lieber Gott,

dieser Satz geht mir seit gestern im Kopf herum.

Mit dem Beten ist das so eine Sache. Ein Vaterunser geht immer - reicht aber manchmal einfach nicht aus. Weil Angst mich sprachlos macht. Weil mein Herz vor Freude überfließt und die Worte sich überschlagen. Weil Trauer mein Innerstes aushöhlt und nur Leere bleibt.

Weil ich wütend bin. Wie jetzt.

Denn ich bin es leid, Gott. Ich bin es leid, dass die kollektive Angst mein Leben regiert. Ich bin es leid, meine Bürgerrechte, meine Grundrechte, mein letztes Stückchen Freiheit und Privatsphäre hergeben zu müssen, weil die Vorsicht es gebietet.

Ich bin es leid, wie penetrant ich durch dauernde Berichterstattung zu einer Tracking-App gedrängt werde.

Ich bin es leid, #wirbleibenzuHause - verdammt zur absoluten Nutzlosigkeit.

Ich bin es leid, zu hören, dass youtube-Gottesdienste und online-Predigten ein Ersatz für lebendige Gemeinschaft sein sollen.

Ich bin es leid, jeden Menschen zuerst als Gefahr zu sehen und nicht als wohltuende Begegnung.

Ich bin es leid, dass über unserem Leben ein dunkler Schleier liegt, der einfach nicht weichen will. Ich bin die Nachrichten leid - befallen von morbider Sehnsucht nach den letzten Todeszahlen, den neuesten Infektionen. Ich bin es leid, dieses Haschen nach noch mehr Angst und Sensation.

Ich bin es leid, dass es darin keinen Raum für Hoffnung gibt.

Ich bin es leid, Gott, meiner Welt beim Sterben zusehen zu müssen.

Und die Losung von heute ist auch nicht sonderlich hilfreich - zumindest nicht auf den ersten Blick: „Wohl dem Volk, das jauchzen kann! Herr, sie werden im Licht deines Antlitzes wandeln.“ (Psalm 89, 16)

Passt ja mal wieder wie die Faust aufs Auge - oder doch der Schlag in die Magengrube. Der mich herausholt aus meinem wütenden Selbstmitleid.

Denn tatsächlich habe ich in dieser Woche mit so einigen Menschen gesprochen, die wirklich jauchzen können. Die sich freuen über die Zwangspause, die ihnen das Leben verordnet. Die jetzt erst merken, wie ausgepowert sie waren - und nun die Ruhe genießen. Sie richtiggehend einfordern. Menschen, die sich an dem freuen, was ihnen bleibt - und nicht darüber meckern, was jetzt fehlt. Die selbst jetzt nur die Lichtstreifen am Horizont sehen.

Ich glaube, sie wandeln tatsächlich im Licht von Gottes Angesicht - denn sie gehen einfach durch das Dunkel hindurch. Sind immun dagegen, lassen sich nicht anstecken.

Das wünsche ich mir auch, Gott.

Deswegen bitte ich dich:

Sei du es nicht leid, mir zuzuhören.

Sei du es nicht leid, mir die Augen zu öffnen für das blühende Leben, das mich umgibt; für die aufkeimende Schönheit, die meinen Tag hell macht. Sei du es nicht leid, uns zu zeigen, dass du der Inhalt bist - analog oder online, nicht abhängig von der äußeren Form. Sei du es nicht leid, auf allen Kanälen uns nahe zu sein.

Sei du es nicht leid, uns im anderen zu begegnen. Sei du es nicht leid, uns herauszuholen aus unserer Einsamkeit. Sei du es nicht leid, uns Menschen zu schicken, die uns dein Licht ins Herz bringen.

Sei du uns nicht leid, Gott.

                                                                          Amen.

Stephanie Wegner